Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
wieder steigt Zorn in mir auf, nie werde ich dir verzeihen, verkünde ich, und sofort spüre ich, wie lächerlich das klingt, es ist ihm doch egal, was ich empfinde, das ist es ja, ich bin schwächer als er, wenn es ihm etwas ausmachen würde, würde er nicht weggehen, und wie erwartet, läßt er sich von meinen Worten nicht beeindrucken, er fährt fort, seine Sachen in den Rucksack zu stopfen, die neue, staubige Bibel, die er noch nie aufgeschlagen hat, läßt er hier, sie soll bei mir verfaulen, und ich denke hektisch darüber nach, was ich noch sagen kann, ich muß etwas finden, was Zweifel in ihm weckt und ihn dazu bringt, noch eine Nacht hierzubleiben, und dann wird mir plötzlich klar, daß die Worte ihre Kraft verloren haben, daß ich meine Kraft verloren habe, nichts, was ich sage, wird etwas an seinem grausamen, herzlosen Entschluß ändern, den ich nie erwartet hätte, der mir selbst nie eingefallen wäre. Nach all den Jahren, in denen ein einziges Wort von mir Ärger, Angst oder Freude in ihm geweckt hat, kann ich jetzt, in dieser Nacht, drohen, anklagen, flehen, ohne daß sich das geringste ändert. Mit dieser Erkenntnis überfällt mich eine mörderische Müdigkeit, die Müdigkeit einer Todkranken, der es sogar an der Kraft fehlt, Mitgefühl für sich selbst aufzubringen, ich schiebe die Kleider weg, die nicht in den Rucksack gepaßt haben, sinke neben ihnen nieder und schließe meine vom Weinen geschwollenen Augen, ich scheine zu schlafen, doch zugleich achte ich auf seine Schritte, das bekannte Geräusch, das ich bald nicht mehr hören werde, das so einzigartig werden wird wie das der Schritte eines ausgestorbenen Tieres, wer erinnert sich an die Schritte von Dinosauriern auf dem schweigenden Erdball, und es kommt mir so unvorstellbar vor, daß man hier bald nur noch meine oder Nogas Schritte hören wird, daß ich Lust habe, ihn an dieser erstaunlichen Entdeckung teilhaben zu lassen, ich hebe den Kopf und flüstere, Udi, aber als Antwort höre ich, wie sich der Schlüssel im Schloß dreht. Ich springe vom Bett auf und keuche, es kann nicht sein, daß er so geht, ohne einen Kuß, ohne eine Umarmung, wenn er für eine Woche wegging, haben wir uns immer mit einem Kuß voneinander verabschiedet, was ist denn jetzt, da er für immer weggeht, ich renne zur Tür, versuche sie zu öffnen, aber sie ist abgeschlossen, mein Schlüssel ist bestimmt irgendwo in meiner Tasche vergraben, ich kann ihm nicht ins Treppenhaus hinterherlaufen und ihn in die Wohnung zurückzerren, wie ich es manchmal nach Streitereien getan habe, ich renne zum Balkon, versuche zu schreien, warte noch, warte einen Augenblick, aber nur ein heiseres Flüstern kommt aus meiner Kehle, warte einen Augenblick, die wichtigste Sache habe ich noch nicht gesagt.
Er geht unten über die Straße, groß und stur, den riesigen Rucksack auf dem Rücken, wie ein unermüdlicher Tourist, noch einen Moment, und ich werde ihn nicht mehr sehen, selbst wenn etwas passiert, kann ich ihn nicht erreichen, ich muß ihn aufhalten, aber meine Stimme ist ein leises Krächzen, als ich dem sich entfernenden Rucksack mit seinen Kleidungsstücken hinterherschreie, und auf einmal wird mir das Ausmaß der Katastrophe klar, was wird Noga anziehen, sie will doch nichts anderes tragen als seine T-Shirts, ich schreie, laß ein paar T-Shirts für Noga da, warum habe ich nicht eher daran gedacht, aber er ist nicht mehr zu sehen, seine energischen Schritte sind nicht mehr zu hören, nur die Bäume stehen noch da, die Silhouetten der Zypressen, des Paternosterbaums, der Pappeln, die nachts erleichtert aufatmen, für kurze Zeit der Herrschaft der Sonne entkommen. Ich schaue die stille Straße entlang, und Schmerz packt mich, wohin geht er um diese Uhrzeit, wie will er überhaupt in den Süden kommen, die einfachsten Sachen sind mir verborgen, plötzlich weiß ich nichts mehr von ihm, nachdem ich daran gewöhnt war, alles über ihn zu wissen, diese Änderung ist so extrem, so unerwartet, als wäre mir das Blut ausgesaugt worden, ich lehne mich an das Geländer, Schluchzen zerreißt mir die Kehle, wie das Jaulen eines getretenen Hundes, Udi, geh nicht weg, jaule ich auf die leere Straße hinunter, komm zu mir zurück, ich kann ohne dich nicht leben, Udi, mein Udigi, komm zurück.
Hier habe ich gesessen und auf den Sonnenaufgang gewartet, hier habe ich gesehen, wie Sohara angelaufen kam, in ihrem weißen Kleid war sie zu uns geeilt, um uns zu retten, warum habe ich mir solche Mühe
Weitere Kostenlose Bücher