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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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saugen, und da ändert sich das Phantasiebild und wird nur noch schlimmer, jedesmal wenn ich die Augen zumache, sehe ich sie auf einem großen Bett liegen und zwischen ihnen das Kind, und dann mache ich schnell das Licht an, zitternd vor Wut, das kann nicht sein, er wird nicht mit einem fremden Baby in einem Bett liegen, er wird seine Tochter nicht betrügen, und wieder sehe ich ihn im Wohnzimmer umhergehen, das helle Baby im Arm, still, still, still.
    So waren die Schritte meines Vaters, damals, in jenen schwarzen Nächten, immer wieder hatte ich seine Schritte im Haus gehört, wenn ich einzuschlafen versuchte und den Schlaf an einem dünnen Faden zu mir heranzog, so wie man einen Drachen zieht, komm schon, komm herunter, und wenn er endlich fast bei mir war, hatten die nachlässigen Schritte meines Vaters den Faden zerrissen. Nacht um Nacht hatte ich meine Mutter verflucht und ihr alles mögliche an den Hals gewünscht, daß sie bis an ihr Lebensende allein bleiben möge, daß sie früh altern, daß sie verunstaltet sein möge. Oft wachte Jotam auf und weinte, Mama soll kommen, dann machte ich in meinem Bett Platz für seinen rundlichen Körper, der von Tag zu Tag mehr zusammenschrumpfte, niemand außer mir merkte, daß er aufgehört hatte zu essen und auch nicht mehr lächelte, nicht weinen, sagte ich immer zu ihm, morgen gehen wir zu Mama, aber als sie kam, um uns zu holen, floh ich in die Orangenplantagen, ich wollte mich an die neue Wohnung in der Stadt nicht gewöhnen, ich konnte meinen Vater nicht allein zurücklassen, obwohl er so sehr in seinen Kummer versunken war, daß er uns ohnehin kaum wahrnahm. Abends rief ich ihn zum Essen, ich sah, wie er trockenes Brot in Sauermilch tauchte und langsam, wie im Schlaf, kaute, gehst du nicht zu deiner Mutter, fragte er mich, und ich sagte, ich bleibe bei dir, obwohl er mich nicht darum gebeten hatte und obwohl meine Anwesenheit vielleicht eine Last für ihn war. Als ich endlich zu ihr kam, kühlte mein Haß ab, es fiel mir leichter, sie aus der Ferne zu hassen als aus der Nähe, und auch jetzt, da sie im Nebenzimmer schläft, strahlt eine seltsame Ruhe von ihr auf mich aus, die Ruhe weicher Gefühle, die in Kellern versteckt gewesen sind, in Taubenschlägen, auf Dachböden, und plötzlich hervorzukommen wagen. Jahrelang habe ich der Verführung widerstanden, habe mich geweigert, sie zu lieben, die Mörderin meines Vaters, sogar nach seinem Tod weigerte ich mich, ich war nur bereit, ihr Noga zu überlassen, nicht mich selbst, befriedigt sah ich zu, wie sie ihre Abende schlafend vor dem Fernseher verbrachte, vor jenen Schauspielerinnen, die sie früher an Schönheit übertroffen hatte, das sagte jeder, und nun, zum ersten Mal, ist ihr ein Spalt geöffnet worden und sie hat sich sofort hineingedrückt, sie hat nicht lange gewartet, sie hat sich eine neue Rolle erfunden, eine Mischung aus Trauer und Ergebenheit, Stolz und Zurückhaltung, als wäre sie eine traurige, geachtete Witwe, keine grausame Mörderin, aber mein Zorn auf sie läßt nach, verglichen mit meinem Zorn auf Udi, und selbst der verblaßt und wird müde.
    Ich zwinge mich, in kleinen Schritten zu denken, ich konzentriere mich vollkommen auf Nogas Schwäche, langsam und mit großer Mühe trennt sie sich von der Krankheit, es ist wie die Trennung Liebender, deren Körper sich aneinanderschmiegen und nicht voneinander lassen wollen. Die meiste Zeit schläft sie, und selbst wenn sie wach ist, wird sie noch vom Schlaf begleitet, er sitzt neben ihr in der Küche, wenn sie ein paar Löffel Hühnersuppe ißt und ein bißchen heißen Tee trinkt, und er begleitet sie, wenn sie wie eine Schlafwandlerin ins Bett zurückkehrt. Hypnotisiert vor Angst, beobachte ich sie, als wäre sie ein verdächtiger Gegenstand an einer Bushaltestelle, ich betrachte das fiebrige Durcheinander von Laken und Decken, als würde irgendwann ein völlig anderer Mensch aus dem Bett steigen. Ihre verschlafene Schweigsamkeit ist mir bequem, ich habe Angst, sie könnte mich an ihrem Schmerz teilhaben lassen, und wundere mich über meine Mutter, die das Fieber und die wenigen Schlafpausen gelassen hinnimmt. Eines Nachts, als ich ein Laken über das Sofa breite, kommt meine Mutter mit einer brennenden Zigarette zu mir, du schadest dem Kind, sagt sie, du darfst nicht so viel Mitleid mit ihr haben, vor lauter Mitleid weichst du vor ihr zurück, und ich nicke schweigend, ihre Worte treffen mich, weil sie wahr sind, aber was kann ich tun, wie soll ich

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