Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
Vom Netzwerk:
erschrocken, und er sagt, nein, natürlich nicht, aber als es passiert ist, hat sie auf diese Chance nicht verzichten wollen, ich mache ihr keinen Vorwurf, sie hat es aus Liebe getan, aber ich muß Ihnen nicht erklären, was für ein Fluch die Liebe sein kann, ich lächle bitter, es interessiert mich nicht, woher er weiß, daß ich es weiß, doch das, was zwischen ihnen war, interessiert mich sehr, ich bewege vorwurfsvoll den Finger in seine Richtung, sie hat mir erzählt, Sie hätten sich nicht entscheiden können, Sie hätten so lange gezögert, bis es zu spät war für einen Schwangerschaftsabbruch, und jetzt ist er an der Reihe, bitter zu lächeln, das ist eine glatte Lüge, ich habe ihr von Anfang an gesagt, daß ich das Kind nicht will und nie im Leben meine Frau verlassen werde, ich habe ihr gesagt, wenn es nicht anders geht, werde ich die Vaterschaft anerkennen und Unterhalt für das Kind bezahlen, aber ich würde nie mit ihr zusammenleben, ich schwöre Ihnen, Na’ama, ich habe nicht eine Sekunde gezögert. Glauben Sie mir, fährt er mit fast flehender Stimme fort, ich habe alles versucht, die Sache zu beenden, als es noch ging, einmal, als ich mit ihr zu einem Arzt gefahren bin, ist sie aus dem Auto gesprungen, Sie können sich gar nicht vorstellen, was das für ein Theater war, ich bin ihr durch die Straßen hinterhergerannt, wir sind fast überfahren worden, ich hätte nie geglaubt, daß mir so etwas passiert.
    Ich höre ihm mit geschlossenen Augen zu, es fällt mir schwer, ihn anzuschauen, so heftig sehnt sich mein Herz nach ihm, ich habe mich so sehr daran gewöhnt, auf der Seite der Frauen zu stehen, aber jetzt scheinen sich die Grenzen zu verwischen, der Schmerz ist der gleiche, auch wenn man ihn anders formuliert, es ist das ganz normale menschliche Unglück, das nicht zwischen Frauen und Männern unterscheidet, und wieder denke ich an Udi, was hätte er in solch einer Situation getan, doch sofort fällt mir ein, was er schon getan hat, er hat mich verlassen, für eine Frau mit einem Kind, das nicht seines ist, und als ich die Augen aufmache, sehe ich, wie er mich neugierig betrachtet. Er fährt sich mit der Zunge über die Lippen und fragt leise, woran haben Sie jetzt gedacht? Plötzlich ist mir alles klar, sage ich zögernd, ich habe verstanden, wie alles zusammenhängt, es hätte uns näherbringen müssen, aber es entfernt uns voneinander. Er lächelt, mich entfernt es nicht, ich habe mich Ihnen vom ersten Moment an nahe gefühlt, seit ich Sie in Ihrem Büro gesehen habe, als Sie mich mit ihren traurigen Augen angelächelt haben, und täuschen Sie sich nicht, im allgemeinen komme ich niemandem so leicht nahe, und ich sage, wir haben nicht über Sie und über mich gesprochen, sondern über die Menschheit im allgemeinen, und er verkündet mit gespieltem Pathos, aha, die Menschheit im allgemeinen, das ist doch Ihr Territorium, aber davon verstehe ich nichts, ich kann nur Häuser bauen.
    Oder sie zerstören, sage ich, und sofort tut es mir leid, er verzieht die Lippen und holt mit einer raschen Bewegung eine Brieftasche aus seiner Tasche, ich habe ihn in die Flucht geschlagen, er wird bezahlen und gehen, aber statt eines Geldscheins nimmt er ein Foto heraus und hält es mir hin, ein seltsames Familienfoto, normalerweise stehen alle zusammen in der Mitte des Bildes, im Hof, vor dem Haus oder um einen Tisch herum, vor leer gegessenen Tellern, doch hier sind alle in Bewegung, als würden sie Verstecken spielen. Aus einer Ecke des Bildes lächelt mich ein dunkler Junge mit Grübchen in den Wangen an, und nicht weit von ihm sehe ich ein Mädchen in einem Samtkleid und mit vielen dünnen Zöpfchen auf dem Kopf, und in der anderen Ecke versucht eine Frau, sie zu finden, eine große, kräftige Frau in kurzen Hosen, mein Interesse richtet sich natürlich auf sie, sie streckt ein gebräuntes Bein vor, ihr Gesicht mit den großen blauen Augen sieht hübsch aus, aber ihre breiten Schultern und die kurzgeschnittenen Haare machen einen unangenehmen Eindruck, ich hätte mir seine Frau ganz anders vorgestellt. Ich bin schöner als sie, stelle ich erstaunt fest, und trotzdem hat sie ihn und ich habe niemanden, und wieder betrachte ich das Bild, die energische Bewegung ihres Beins, das so hoffnungslos aussieht, nie wird sie die Kinder erreichen, aber was spielt das für eine Rolle, es ist nur wichtig, daß alle zufrieden aussehen, nur er, der Fotograf, ist nicht zufrieden, er steckt sich nervös eine weitere Zigarette

Weitere Kostenlose Bücher