Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
an und sagt, verstehen Sie jetzt, und ich frage, was genau soll ich verstehen?
Unser Leben ist frei, sagt er, es ist die einzige Art, wie man zusammenleben kann, sie erkundigt sich nie, wo ich war, und ich frage sie nicht aus, wir haben beide gelernt, uns sowohl von der Wahrheit als auch von der Lüge zu befreien, sie weiß, daß ich nach Hause zurückkomme, weil ich sie und die Kinder sehen will, nicht weil ich es tun muß, und das reicht ihr, und mir reicht es auch, wir haben gelernt, an die Handlungen zu glauben, und so leben wir, ohne Schuldgefühle, ohne uns die ganze Zeit gegenseitig in der Seele herumzustochern, und so erziehen wir unsere Kinder in einer Familie, in der es für jeden Platz genug gibt, und je länger er spricht, um so beschämter fühle ich mich, als hielte er einen Spiegel in der Hand und zeige mir mein eigenes, falsches Leben, erstickt von Schuldgefühlen und Zorn, bewegungslos in alten Fesseln, Gefängnis und Folterkammer zugleich, und ich Gefangene und Wärterin, Gepeinigte und Peiniger. Fremdheit breitet sich plötzlich zwischen uns aus, was habe ich mit ihm zu tun, was habe ich mit dieser brillanten Wahlrede zu tun, für einen Moment war die Trauer in sein Leben getreten, gleichzeitig mit mir, aber innerhalb kürzester Zeit wird er seine Trauer verjagen und zu seinem bequemen Leben zurückkehren, das von der Vernunft regiert wird, und ich kehre zu meinem zurück, und er fährt sich mit der Zunge über die Lippen, es tut mir leid, sagt er, ich habe Sie nicht verletzen wollen, und ich senke den Kopf, nicht Sie sind es, es ist die Wirklichkeit, sie ist so vernünftig, wissen Sie. Er streckt die Hand aus, berührt mein Kinn und hebt mein Gesicht zu sich, er dreht es in seine Richtung, wie man einen Spiegel dreht, ich weiß nicht, was ich tun soll, sagt er, die Zunge gleitet ihm über die Zähne, ich hätte nicht damit anfangen sollen, aber sie war so süß, sie ist absichtlich länger im Büro geblieben, als die anderen schon weg waren, sie hat mich bei allen möglichen Gelegenheiten um Rat gefragt, sie hat mich provoziert, ich habe meinen Spaß mit ihr gehabt und nicht damit gerechnet, daß die Sache so kompliziert wird.
Sie hatten wohl die Tatsachen des Lebens vergessen, fauche ich ihn an, und er seufzt, tun Sie mir einen Gefallen, Na’ama, wissen Sie, jede Nacht versuche ich, diese Situation zu rekonstruieren, ich verfluche mich, weil ich mich nicht beherrschen konnte, ein einziges verdammtes Mal, den ganzen Tag ist sie in ihrem kurzen Kleid ohne Höschen herumgelaufen, und als die anderen weg waren, hat sie sich sofort auf meinen Schoß gesetzt, ich habe in der Schublade nachgeschaut und gesehen, daß wir keine Kondome mehr hatten, am Schluß habe ich gesagt, egal, machen wir es eben wie damals, als ich jung war, und Bingo, es ist passiert, es gibt keine Nacht, in der ich nicht daran denke, und ich schnaufe zornig, wie kommt er dazu, mich in diese Details einzubeziehen, als wäre ich seine Vertraute, aber schon versuche ich, die Situation zu rekonstruieren, es hört sich so aufreizend an, trotz des traurigen Ergebnisses, und dann verstehe ich plötzlich, warum er es für richtig gehalten hat, mir das alles zu erzählen, nicht wie einer Vertrauten, sondern, um mich aufzugeilen, er versucht, mir anzudeuten, daß er eigentlich immerzu bereit ist, und wenn ich ohne Höschen herumliefe, könnte es passieren. Einen Moment lang bin ich gereizt, bildet er sich etwa ein, daß es das ist, was mir gerade fehlt, doch sofort schaue ich ihn besänftigt an, man kann einfach nicht böse auf ihn sein, er ist so offen, das ist großartig, und eigentlich warum nicht, ich bin jetzt frei, ich bin nicht nur verlassen, die Sache hat auch eine zweite Seite, eine aufregende und unbekannte Seite.
Mit einer offensichtlichen Bewegung schaue ich auf die Uhr, er grinst, haben wir noch Zeit, die Situation zu besprechen? Ich nicke, ich bin so aufgeregt wie seit Jahren nicht, er schiebt sein Gesicht zu mir, aus der Nähe ist seine Haut grob und blank gerieben, genau wie das Leder seiner Brieftasche, die zwischen uns auf dem Tisch liegt, wollen Sie die Situation hier besprechen oder woanders, fragt er, vielleicht fahren wir zu dem Ort, an dem alles angefangen hat, und ich flüstere, in Ordnung, plötzlich habe ich keine Lust, mir alles gründlich zu überlegen und zu zögern, wie verzaubert folge ich ihm, zum ersten Mal in meinem Leben, ohne zu überlegen, was passieren, wie hoch der Preis sein wird, ich gehe hinter
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