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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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mußte ich von mir aufgeben, bis von mir nichts blieb als eine leere, trockene Hülle, und manchmal stellte ich mir in all der Müdigkeit und Langeweile und Schwermut die Freiheit vor, freundliche Menschen kamen und streckten mir die Hände entgegen, gib sie uns, sagten sie, gleich bist du frei, und sie wird glücklich sein, und ich legte ihnen den kleinen strampelnden Körper auf die Hände und hoffte auf Ruhe, auf göttliche Stille, nur schlafen, ich wollte nur schlafen, aber bevor ich es noch bedauern konnte, weckte mich ihr forderndes Geschrei wieder, sie ging nirgends hin, sie war für immer da, eine schwere Last auf meinem Herzen, von Tag zu Tag wurde sie schwerer, und unsere Streitereien wehten über ihren Kopf hinweg, als wären wir Fremde. Sei doch ein bißchen sensibler ihr gegenüber, habe ich immer gesagt, widme ihr mehr Zeit, und er hat sich sofort gewehrt, sag mir nicht, was ich tun soll, du bist keine Heilige, daß du mir Moralpredigten halten kannst, und sie hat dabei nur verloren. Du hast recht gehabt, Udi, ich bin keine Heilige, warum wollte ich unbedingt, daß du sie liebst, wenn nicht darum, daß du mit deiner Liebe meine ersetzt, meine zögernde, erloschene Liebe, denn vor ihr bin ich damals in die Wohnung ganz oben unterm Dach geflohen, vor ihren unaufhörlichen Forderungen, vor ihren Armen, die sich um meinen Hals legten, ich wollte dort sitzen, umhüllt von seiner Bewunderung, mich berauschen an meiner Liebe zu mir selbst und sie ganz vergessen.
    Ich kann kaum noch stehen, stütze mich an den Torstangen, hier habe ich Ja’el zum ersten Mal gesehen, mit ihren Bambiaugen hat sie mich vertrauensvoll angeschaut, ich habe ihr nicht schaden wollen, ich wollte nur, daß sie ihr Kind liebt, weil ich es nicht geschafft habe, meines zu lieben.
    Ein Auto fährt schnell an mir vorbei, und ich atme tief auf, es ist nicht Chawa, noch nicht, aber gleich wird sie zurückkommen, sie wird schwungvoll durch das Tor kommen, die unterschriebenen Formulare in der Hand, ein unfruchtbarer Mann und eine unfruchtbare Frau werden ein großes Glück erleben, warte auf mich, wird sie zu mir sagen, ich habe einiges mit dir zu besprechen, aber ich werde nicht warten, Chawa, ich habe vorher noch selbst etwas mit mir zu besprechen, jeden Tag erwarten mich entsetzliche, herzzerreißende Nachrichten, als wäre ich von Propheten umgeben, und die Worte Gottes, die sie in ihrem Mund tragen und zu vielen neuen Wahrheiten formen, blecken mir mit entblößten Zähnen entgegen, ich wünschte, ich könnte sie beruhigen, wie Micha den Hund Elijahu in dem stillen Neubaugebiet beruhigt hat.
    Zögernd mache ich die Tür zum Heim auf, Annat wirft mir einen besorgten Blick zu, sie führt gerade ein Gruppengespräch mit den Mädchen, heute morgen sind alle sehr still, auf dem schwarzen Brett flattert ihr Tagesplan, was habe ich mit diesem Tagesplan zu tun? Ich gehe schnell an ihnen vorbei und laufe hinauf zu meinem Büro, die süßlichen Bilder umgeben mich provozierend, stechen mir in die Augen mit ihrer Buntheit, es sind die Bilder von schönen schwangeren Frauen, die ihren Bauch umarmen und gelassen aus dem Fenster schauen, wie konnte ich diese Frauen die ganze Zeit aushalten, und mit einer einzigen wilden Bewegung leere ich die Wand und zerreiße die Bilder, und auf einen der Fetzen schreibe ich eine Nachricht für Chawa und bringe ihn schnell, bevor es mir leid tun kann, in ihr Büro hinüber.
    In einem der Schränke finde ich eine Plastiktüte und kippe den Inhalt der Schubladen hinein, wie wenig hat sich hier im Lauf der Jahre angesammelt, ein paar Briefe, die ich von Mädchen bekommen habe, nachdem sie das Heim verlassen hatten, süße Fotos von Babys auf den Armen ihrer stolzen Mütter, nur deinetwegen bin ich Mutter, hat eine von ihnen hinten auf das Bild geschrieben, ich erschrecke vor diesen eindeutigen Worten und vor dem Gegenteil, das sich drohend in ihnen verbirgt. Ohne ein Wort des Abschieds gehe ich zur Tür, werfe einen letzten Blick auf die Mädchen, die um Annat herumsitzen und sie mit ihren dicken Bäuchen bedrohen, und sie mitten unter ihnen, knabenhaft, kinderlos, und plötzlich fühle ich scharf, wie den Stich einer Lanze, meinen Zorn auf sie, du hast mich als erste verlassen, zische ich, wer bist du, daß du mich so hart verurteilen kannst, nie warst du meine Freundin, auch wenn du so getan hast, als wärst du es, weit mache ich die Tür auf, wie Udi verlasse ich mein Haus, nur mit einer kleinen Plastiktüte in der

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