Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
Hand gehe ich nach vielen Jahren weg. Voller Panik steige ich ins Auto und fahre los, ohne zu wissen, wohin, ich will nur in Bewegung sein, den allgemeinen Regeln unterworfen, wie alle an einer roten Ampel warten, anhalten, wenn Kinder die Straße überqueren. Da ist der Weg zum Krankenhaus, erst gestern bin ich hier entlanggefahren, kochend vor Hitze, aufgeregt, mit Ja’el auf dem Rücksitz, mit ihr das Baby, das an die Tür klopfte, an die Tür der Welt, und ich kämpfte mit dem Schloß, als wäre ich die Torhüterin, und heute habe ich hier nichts verloren, in ihrem rosafarbenen Morgenmantel sitzt sie dort, unterschreibt die Formulare, verzichtet für immer auf den Jungen, den sie geboren hat, und alles meinetwegen, nur weil ich eine Familie haben wollte.
Über meinem Kopf steigt die Sonne glühend höher, mir ist, als wären ihr flammende Arme und Beine gewachsen, mit denen sie gegen meinen Kopf schlägt und tritt, und ich versuche, mich zu schützen, ich lasse das Lenkrad los, hinter mir hupen ungeduldige Autofahrer, auf der Flucht vor ihnen biege ich in eine Seitenstraße ein, kaum zu glauben, völlig gedankenlos bin ich zu seinem Büro gefahren, sein Auto parkt gemütlich am Straßenrand, alle möglichen Leute sitzen dort im Haus, gehen über den roten Teppich, planen ihre Wohnungen, und er breitet vielversprechende Skizzen vor ihnen aus, ungerührt vom Schicksal des neugeborenen Kindes, in nur einem Tag wird er nicht nur ihn vergessen haben, sondern auch sie und mich. Ich halte nicht an, ich gehe nur etwas mit der Geschwindigkeit runter, dann setze ich meine zermürbende Fahrt durch die Stadt fort, die Straßen sind bekannt und langweilig wie Menschen, die ich irgendwann einmal traf und denen ich heute nichts mehr zu sagen habe, ich fahre schnell weiter, sie sollen mich bloß nicht erkennen, sie sollen nicht sagen, da ist Na’ama. Da ist jene Straße, lang und gebogen, schon seit Jahren habe ich nicht mehr gewagt, hier vorbeizukommen, noch nicht einmal in Gedanken, genau in der Kurve steht sein Haus, krumm wie die Türme, die Kinder auf dem Teppich bauen, ich halte an, betrachte die schwarze Straße, sie ist gerade frisch asphaltiert worden, die Spuren meiner panischen Flucht sind zugedeckt, aber bei mir lebt alles weiter in einem unmöglichen Zwischenzustand, wie in einer Agonie, die kein Ende findet, abgeschnitten von der Barmherzigkeit des Todes.
Ich steige aus dem Auto und schaue am Haus hoch, wo ist das boshafte Fenster, das meine Nacktheit verraten hat, meine Schande, ein scharfer Glanz steigt von dort auf, ein einzelner Sonnenstrahl trifft die Scheibe, lang und dünn wie ein himmlisches Schwert, und ich starre erstaunt nach oben, was kann man überhaupt von der Straße aus sehen, höchstens verschwommene Schatten, was hat er an jenem Morgen gesehen, die Landschaften seines stürmischen Gehirns, die unglaublichen Weiten seiner Seele, und ich, wie ein gut dressiertes Zirkustier, springe durch den brennenden Reifen seines Bewußtseins, werfe mich vor ihm nieder, hoffe auf Strafe, als handelte es sich um einen Preis. Er hat nichts gesehen, er hat nichts sehen können, ich war es, die ihm alles sagte, bevor er eine Frage stellen konnte, ich habe mich vorschnell verraten, ich habe ihm eine ungeheure Kraft übermittelt, weil ich vor meiner eigenen Kraft erschrocken war.
Die Treppen sind so, wie ich mich an sie erinnere, hoch und krumm, sie bringen den aufgeregten Fuß zum Straucheln, ich komme zu dir zurück, Geliebter, mit leeren Händen, vor lauter Angst, mich an dich zu erinnern, habe ich dich nie vergessen, vor lauter Angst, dich zu lieben, habe ich die Kraft zu lieben verloren. Was werde ich zu ihm sagen, wenn er mir die Tür aufmacht, den Pinsel in der Hand und mit halbgeschlossenen Augen, die seine Überraschung verbergen, zeig mir jenes Bild, werde ich ihn bitten, ich möchte mich für einen Moment schön finden.
An seiner Tür bleibe ich stehen, um meinen Atem zu beruhigen, immer war die Tür leer und geheimnisvoll, aber nun ist ein Schild an ihr angebracht, auf dem mit runden Buchstaben Na’ama steht, und ich reiße die Augen auf, glaube einen Moment lang, dies sei ein Brief, für mich bestimmt, wer weiß, wie viele Jahre er schon hier wartet, und ich greife aufgeregt danach, versuche, ihn abzureißen, aber das Schild ist herzlos, es verrät nichts, nur den Namen, der darauf steht. Vermutlich ist er ausgezogen, wohnt nicht mehr hier, und irgendeine Na’ama hat seinen Platz eingenommen,
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