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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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meinen Platz, aber ich weigere mich, ihre Existenz anzuerkennen, ich habe das Gefühl, daß ich es sein müßte, und ohne zu zögern, klopfe ich an die Tür, immer heftiger und lauter, als würde dort jemand schlafen und ich müßte ihn aufwecken, aber aus der kleinen Wohnung, die ich so geliebt habe, ist kein Lebenszeichen zu hören, Na’ama macht nicht auf. Enttäuscht stolpere ich die Stufen hinunter, stürze mich auf den Briefkasten, Na’ama Korman steht darauf, da kann man nichts machen, ich bin es nicht, einfach ein zufälliges Zusammentreffen, das nichts bedeutet.
    Langsam fahre ich nach Hause, die Autoreifen stöhnen unter der Last meines leeren Lebens, was ist schwerer, ein Sack Federn oder ein Sack Eisen, es gibt nichts Schwereres als einen leeren Sack, ich betrete die erstickende Wohnung und laufe sofort ins Badezimmer, als käme ich von einer anstrengenden Reise zurück und wäre völlig verdreckt, ich drehe den Wasserhahn auf und lasse mich in die Badewanne sinken, bis über den Kopf. Er hat mich damals nicht gesehen, alles hätte ganz anders verlaufen können, alles habe ich selbst verursacht, blind vor Schuldgefühlen, wieso habe ich das Offensichtliche nicht gesehen, ich war sicher, wenn ich ihn erkenne, erkennt er mich auch, ich verstand nicht, daß wir zwei getrennte Geschöpfe waren, daß mein Erleben völlig anders war als seines, obwohl wir Mann und Frau waren. Erschrocken vor der Freiheit, die mich zwischen den Farben heraus anschaute, zog ich es vor, unter dem Terror zu leben, ich zog es vor, den Preis des Terrors zu bezahlen statt den Preis der Freiheit, und deshalb lähmte ich ihn mit meinem unendlichen Zorn. Wie gut wir eigentlich zusammengepaßt haben, wer hätte es besser als er geschafft, mich einzusperren, wer hätte es besser als ich geschafft, seine Schwäche zu ertragen, mit vier fleißigen Händen haben wir uns unser Leben zerstört, in erstaunlicher Harmonie, während Noga uns verwirrt von der Seite aus zusah und jede unserer Handlungen mit ihren traubengrünen Augen verfolgte.
    Wie habe ich es die ganzen Jahre über genossen, das Unrecht auszubreiten, das er mir antat, ich ermunterte ihn sogar dazu, mich zu verletzen, nur um die volle Intensität seiner reinigenden Kraft zu erleben, ich benutzte Noga, um sein Leben zu verbittern, ich verurteilte ihn, vergrößerte seine Schuld, vergalt seinen Terror mit meinem, versteckt hinter guten Absichten, hör auf, mir Moralpredigten zu halten, sagte er, du bist keine Heilige. Wenn es nur möglich wäre, das Leben von Schuldgefühlen zu befreien, den geheimen, schlauen Beratern aller bösartigen Motive, wenn es nur möglich wäre, nicht unter der Last des Nächsten zusammenzubrechen, sondern jeder für sich aus einer anderen Ecke das Bild zu betrachten! Ich tauche mit dem Kopf unter Wasser, mit offenen Augen, in den Tiefen der Wanne verstecken sich Korallenfelsen, ein unendliches Glück, man braucht den Kopf nicht zu heben, man kann die Lungen boykottieren, die Begierde des Körpers nach dem nächsten Atemzug, das ist die oberste Begierde, stärker als die nach einem Mann, nach der Frucht des Leibes, die Begierde zu atmen, ohne etwas anderes dafür zu bekommen, zu leben, um zu atmen, nicht um zu lieben, nicht um Kinder aufzuziehen, nicht um Erfolg zu haben, nicht um hehre Ziele zu verwirklichen. Ich hebe meinen Kopf aus dem Wasser und atme lange und tief ein, überraschend glücklich, ich spüre die feuchte Luft, betrunken von der Luft, hebe ich ein Bein und betrachte es nachsichtig, fünf kurze, unordentlich angeordnete Zehen, die glücklich sind, mich zu sehen, das ist es, was mir geblieben ist, einfach ein Körper, der es liebt, zu atmen, alles andere ist Luxus, und es spielt dabei keine Rolle, ob irgendein Mann mich geliebt oder mich verlassen hat, so wie die Erde die Schritte, die über sie hinweggehen, kaum wahrnimmt, sie konzentriert sich auf das, was tief in ihrem Inneren vorgeht, auf das Kriechen des kochenden Magmas unter der dünnen Erdschicht, auf seine langsamen Bewegungen und die uralte Sehnsucht der Erdteile, sich wieder zu vereinigen.
    In ein Handtuch gewickelt, gehe ich zum Schrank, nehme zerstreut den grauen Hosenanzug heraus, ich habe ihn nur einmal angehabt, als ich Udi ins Krankenhaus gebracht habe, der Geruch jenes Morgens scheint noch an dem Stoff zu haften, der Geruch der Angst, zusammen mit der heimlichen Hoffnung auf irgendeine Veränderung, zu meiner Überraschung paßt er mir wieder, gibt meinem Körper etwas

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