Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
Strenges, macht ihn weniger verletzlich, und ich kämme mir die feuchten Haare, sprühe mich mit Parfüm ein, als ginge ich zu einer entscheidenden Verabredung, allerdings ohne die bedrückende Nervosität. Genußvoll mache ich mich schön, freue mich an dem Körper, der wieder allein stehen kann, und als ich in die Hitze des Nachmittags hinaustrete, ist mir nicht klar, wohin mich meine Schritte führen, und auf einmal stehe ich vor dem Café, jahrelang habe ich nicht gewagt, es zu betreten, ich bin nur vorbeigehuscht und habe schnelle Seitenblicke darauf geworfen, und jetzt mache ich die Tür auf, wie sehr hat sich alles verändert, schwarze Tische stehen auf einem glänzenden Marmorboden, nichts erinnert mehr an die schweren, altmodischen Möbel, an die holzverkleideten Wände, von denen die schmeichelnden, verführerischen Worte aufgesogen wurden. Ich bestelle mir ein Glas Rotwein, obwohl ich keinen ersichtlichen Grund zum Feiern habe, ich habe meinen Mann verloren und jetzt noch meine Arbeit, Jahre der Anstrengung sind vergeblich gewesen, und trotzdem pulsiert Freude in mir, pulsiert im Takt lustvoller Freiheit, schon bestelle ich ein zweites Glas Wein, mein Kopf ist benebelt, durch die gläserne Wand zur Welt ist der gewohnte Verkehr zu sehen. Ordnung hat sich über die Welt gesenkt, eine bescheidene Ordnung, passend zu unserem kleinen Wohnviertel, und es scheint, als sei sogar für mich ein kleiner Platz darin reserviert. Da bemerke ich eine bekannte Gestalt, sie kommt näher, ihre langsamen Schritte stören die Ordnung nur wenig, der Anstieg fällt ihr offensichtlich schwer, ein Paar, das hinter ihr geht, muß seine Schritte verlangsamen, und schließlich laufen sie sogar getrennt außen um sie herum, und sie merkt es gar nicht, sie ist versunken in ihre komplizierten Weltengebilde, ihr Blick ist auf die Rinne gerichtet, in der sich Straße und Gehweg treffen, ihre Lippen scheinen sich zu bewegen, was murmelt sie dort? Ich stehe auf und trete zu der Glaswand, um sie aus der Nähe zu sehen, ein großgewachsenes Mädchen, schlampig, der eigenen Schönheit noch nicht bewußt, ihre Füße treten nachlässig auf die Straße, doch sofort schüttelt sie sich, tritt zurück auf den Gehweg, und dann sehe ich ihren sich entfernenden Rücken, ein bißchen gebeugt, kaum zu glauben, daß wir uns so nahestehen, daß wir zusammen wohnen, manchmal sogar im selben Bett schlafen, und erst da kommt es mir in den Sinn, sie zu rufen, ein weinseliger Ruf dringt aus meiner Kehle, ein haltloser Schrei, und sie dreht sich überrascht um, kommt mißtrauisch auf mich zu, Mama, was machst du hier? Bist du nicht bei der Arbeit? Warum bist du so festlich angezogen?
Ich lege den Arm um ihre Schulter und führe sie zu meinem Tisch, du hast heute auch früher aus, oder, und sie sagt, ja, heute war der letzte Schultag, morgen fangen die großen Ferien an. Auch für mich fangen jetzt die großen Ferien an, verkünde ich fröhlich, ich habe heute aufgehört zu arbeiten, und sie fragt, wirklich, warum denn, und sofort erschrickt sie, von was werden wir leben, wir werden kein Geld haben, und ich sage, mach dir keine Sorgen, ich bekomme eine Abfindung, und dann fällt mir schon etwas ein, und sie fragt, aber warum, Mama, und ich seufze, es hört sich abgedroschen an, aber ich muß mich erst mal um mich selbst kümmern, bevor ich mich um andere kümmern kann. Sie streift mich mit einem prüfenden Blick, das klingt logisch, Mama, und ich lache, ja, die abgedroschensten Dinge sind im allgemeinen auch die logischsten, und dann bestelle ich für sie Toast und Cola, es gefällt mir, mit ihr hier zu sitzen, ihr Gesicht ist braun geworden, das läßt die schönen Augen aufleuchten, zwei Flaschen mit farbigem Eilat-Sand, die Nase ist fast lächerlich süß, und ihr Mund ist wunderschön, wenn sie lächelt. Was machen wir in den Ferien, fragt sie, und ich werde schon unruhig, was habe ich ihr vorzuschlagen, all ihre Freunde fahren bestimmt mit der Familie ins Ausland, nie werde ich mit ihnen konkurrieren können. Wir gehen schwimmen, sage ich zögernd, oder ins Kino, wir lesen Bücher, vielleicht fahren wir zu diesem Hotel im Norden, in dem ich damals mit Papa war, dort ist es sehr schön, und sie sagt, toll, da will ich hin! Und sofort schweigt sie, betrachtet mich ängstlich, die Freude der Armen hat sich an unseren Tisch gesetzt, und wir gehen beide sehr vorsichtig mit ihr um, mit dieser neuen Besucherin, um sie nicht mit allzu lauten Worten in die
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