Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
Imperien, die vom Erdboden verschwunden sind, aber hier handelt es sich um einen kleinen, kaum sechsjährigen Jungen, der noch nicht gelernt hat, Fahrrad zu fahren, und dem es schwer fällt, sich die Schnürsenkel zu binden, einen Jungen, der sich vor der Dunkelheit fürchtet, und ich glaube seine Stimme zu hören, nachts, wenn er schlecht geträumt hat, laut und erschrocken, Mama, Mama, komm, komm schnell, und ich komme, meine Sohlen schlagen auf den warmen Asphalt, ich muss ihn sehen, ihn vor der Katastrophe retten, die hier verkündet wurde, auf dem Gipfel dieses Treppenbergs, der in Wolkendunst gehüllt ist wie der Berg Horeb.
Wie eine Frau, deren Haus brennt, renne ich durch die Straßen, verbreite Unruhe um mich, streue Schrecken in die Herzen der Vorübergehenden, als hätte mich eine geheime Nachricht erreicht und triebe mich vorwärts, die Nachricht von einem nahen Anschlag, einem Erdbeben, eine Schleppe beunruhigter Blicke begleitet mich, und irgendwie scheine ich nicht vom Fleck zu kommen, die grauen Straßen halten mich fest wie lästige Greise.
Eine Radfahrerin mit kurzen Haaren strengt sich bei der Steigung an, ihre Bluse ist so feucht wie Amnons Hemd am Morgen, wie sorgfältig hat er es wohl zugeknöpft und mit den Händen glatt gestrichen, als er an der Tür des Hauses stand, vor dem ich jetzt fliehe, bevor er mich mit frommer Miene an die Obrigkeit verriet, und ich vergrößere meine Schritte, schaue mich misstrauisch um, es kommt mir vor, als liefe ich nicht allein durch die Straßen, denn in diesem Moment ist auch der Fluch meines Vaters auf die Straße gelangt, und mit ihm laufe ich um die Wette, ihn muss ich besiegen, ihn, der mit schwarzen Flügeln neben mir fliegt, und auch wenn meine Rippen schmerzen und meine Knie nachgeben, ich muss vor ihm ans Ziel kommen, denn dort wartet ein kleiner Junge auf mich, kaum sechs, der sich weigert, sich die Haare schneiden zu lassen, der Sonne in den Augen hasst, dessen Eltern sich gestern getrennt haben.
Aus den offenen Fenstern der Klassenzimmer dringt Schullärm wie Meeresbrausen, mit wilder Kraft, Hunderte von Kindern sitzen auf kleinen Stühlen, halten Bleistifte und Farben in den Händen, und eines von ihnen gehört mir, und ich muss es sofort sehen, und ich werfe mich gegen das Tor, versuche, es aufzudrücken, aber zu meiner Überraschung ist es abgeschlossen, ein großes Schloss hängt daran, und darüber ein Schild mit ungelenker Handschrift, der Wachmann macht seine Runde, bittet um Ged. Die letzten Buchstaben sind verwischt wie auf einer alten Inschrift, niemand macht sich die Mühe, sie zu ergänzen, und hundert Jahre später werden die Forscher vielleicht stirnrunzelnd die verschiedensten Interpretationen anbieten, bis eine weitere Inschrift gefunden wird, eine unbeschädigte, die ein Licht auf das Rätsel wirft, bittet um Ged, wie einfach hört sich das an, aber nicht für mich, nicht jetzt, und ich betrachte feindselig das Tor, das in einem provozierend fröhlichen Grün gestrichen ist, als wäre es von Anfang an nicht zum Schutz meines Sohnes bestimmt, sondern um mich von ihm zu trennen, ich taxiere es, wie man einen Gegner taxiert, bevor man ihn schlägt, ich habe keine Wahl, ich muss es besiegen, ich werde nicht warten, bis die lange Runde des Wachmanns zu Ende ist, ich schaue mich um, vergewissere mich, dass niemand zusieht, steige mit dem Fuß auf den Griff und halte mich an den Stäben fest.
Es ist erstaunlich leicht, auf das Tor zu steigen, eine starke Hand scheint mich an den Haaren zu packen und hinaufzuziehen, und schon bin ich oben, zu meinem Verdruss steht unten jetzt ein junges Mädchen, seine Haare sind blond und lockig, es schaut überrascht und amüsiert zu mir herauf, ich ignoriere es, hebe den Fuß vorsichtig über das Tor, aber dort, auf Gilis Seite, gibt es nichts, woran ich Halt finden könnte, keinen Vorsprung, es ist zu hoch und zu glatt, und ich weiß mir nicht zu helfen, eine zusätzliche, unüberwindbare Hürde ist zwischen uns aufgebaut, mein Sohn, vielleicht würde ich den Rückweg antreten, wenn ich kein Publikum hätte, wenn da unter mir das junge Mädchen nicht wie angewurzelt stünde und wartete, geduldig, genau wie es auf dem Schild steht, und ich beschließe, vorläufig auf meinem Platz zu bleiben, als wäre ich nur aus Spaß heraufgestiegen, um einen Blick auf den vernachlässigten Hof zu werfen, und so betrachte ich von meinem Aussichtspunkt aus das Schulgelände, sehe sogar den alten Wachmann, der
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