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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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langsam auf das Tor zugeht, erfüllt von seinem Auftrag, denn schließlich liegt die Sicherheit Hunderter Kinder in seinen Händen, ich winke ihm liebenswürdig zu, damit er sich nicht in mir täuscht und mich mit seiner Waffe bedroht.
    Der Anblick meiner Gestalt auf dem Tor unterbricht seine gemächliche Patrouille, er kommt schnell auf mich zu, mit wackelndem Bauch, mit missbilligend erhobenen Händen, sagen Sie, sind Sie verrückt, oder was, schreit er stotternd, können Sie sich denn nicht gedulden, da steht es doch, und ich halte mich an den Stäben des Tores fest, es tut mir wirklich Leid, ich habe es schrecklich eilig, ich habe ein Baby allein zu Hause gelassen, und ich muss meinen großen Sohn abholen, aber mir scheint, dass diese verzweifelte Ausrede seinen Zorn nur noch steigert, wer lässt schon ein Baby allein zu Hause, schimpft er, alle hier sind verrückt, wegen meines Vergehens fällt er ein Urteil über alle Eltern, es sieht so aus, als würde er mich als Strafe für diese allgemeine Verwahrlosung hier auf dem Tor hängen lassen, zwischen Himmel und Erde, ewiger Schande preisgegeben. Mit offenem Abscheu schüttelt er den Kopf, öffnet langsam und bedächtig das Schloss, lässt das junge Mädchen durch das Tor gehen, es schreitet erhobenen Hauptes, als wäre dies der endgültige Beweis dafür, dass Geduld sich auszahlt, und ich versuche, genauso hinunterzusteigen, wie ich hinaufgestiegen bin, mein Fuß tastet blind nach dem Griff, rutscht darauf aus, und ich falle auf den glühend heißen Asphalt des Gehwegs, knapp neben einen Kinderwagen.
    Auch wenn ich mir wehgetan habe, ich werde es ihm nicht zeigen, mühsam richte ich mich auf, klopfe meine Kleidung ab, lächle den Wachmann freundlich an, als hätte ich diesen Absprung von vornherein so geplant, als wäre ich nur dafür auf das Tor geklettert, ich versuche, mich mit Eleganz zu bewegen, wenn ich den Schmerz leugne, wird er verschwinden, Hauptsache, ich bin drinnen und werde Gili gleich retten, mit Mühe steige ich zu dem Klassenzimmer im Kellergeschoss hinunter, dort werde ich von den hellen Mangolocken empfangen, die ich vorher von oben gesehen habe, es ist wieder dieses junge Mädchen, ich werde wütend, was sucht sie hier, ich habe gehofft, sie nie mehr zu treffen. Aus der Nähe sieht sie nicht mehr so jung aus, auch nicht so klein, wie sie von oben gewirkt hatte, sie ist kein junges Mädchen, sondern eine Mutter, deshalb werde ich sie nun jeden Tag sehen müssen, sie betrachtet mich mit amüsierter Neugier und bedeutet mir mit einem Blick auf die geschlossene Klassentür, sie sind noch nicht fertig.
    Aber ich habe heute schon bewiesen, dass ich mich von verschlossenen Türen nicht aufhalten lasse, ich stoße die Tür mit Gewalt auf, Dutzende von Augen wenden sich mir zu, seine herbstlaubfarbenen Augen unter dem Zauberhut erkenne ich sofort, er springt auf, rennt schnell durch die Klasse, und erst als er in meine Arme fällt, atme ich erleichtert auf, es geht ihm gut, nichts ist ihm passiert, ich beschnuppere ihn wie eine Katze, kindlicher Schweißgeruch vermischt mit dem Duft von Schokoladenbrotaufstrich, Klebstoff und Sand, Vergnügen und Sehnsucht, der Duft meiner Liebe.
    Einen Moment, Mutter von Gil’ad, wir sind noch nicht fertig, die Lehrerin unterbricht unser Glück, ich bin gezwungen, mich zu entschuldigen, versuche in aller Eile, eine neue Ausrede zu finden, eine Lüge, die nicht enttarnt werden kann, am besten nichts Schockierendes, entschuldigen Sie, wir haben es heute wirklich sehr eilig, wir haben ein Familienereignis, aber sie bleibt stur, Sie werden noch eine halbe Stunde warten müssen, wir sind mitten in der Arbeit, geh zu deinem Platz zurück, Gil’ad, aber er klammert sich an mich, weint an meinem Hals, ich will nach Hause, ich will nicht an meinen Platz zurück, und ich versuche, ihn zu beruhigen, es ist in Ordnung, Gili, ich warte vor der Tür auf dich, es dauert nicht lange, plötzlich erkenne ich das Ausmaß meines Fehlers, warum musste ich ihn vor den Kindern bloßstellen? Beschämt schaue ich die Lehrerin an, die schnell und entschlossen auf uns zukommt, ihn aus meinem Arm zieht, der Zauberhut fällt ihm vom Kopf, als er gedemütigt zu seinem Platz geht, verlegen wegen seines Weinens, dem Spott ausgesetzt.
    Ich ziehe mich ebenfalls zurück, verlasse schnell das Klassenzimmer und falle fast in die Arme der lockenköpfigen Frau, die mich mit offenem Mund anstarrt, als wäre ich ein Zirkustier, das sein Publikum mit

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