Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
nichts zurücklassen, außer vielleicht den Kern eines Pfirsichs, eine aus der Tasche gefallene Münze, einen benutzten Schnuller, dessen Fehlen später viel Unruhe hervorrufen wird, es ist leichter, die steinernen Relikte zu entschlüsseln als die lebendigen, ja, diese Fundstücke hier verändern sich von Minute zu Minute, da ist zum Beispiel Michals Decke, die plötzlich verlassen ist, allein zurückbleibt, ausgebreitet, während ihr Mann, die Tochter an der Hand, finster hin und her läuft. Zerstreut verfolge ich seine Schritte, sehe sein Profil, hart und doch zerbrechlich, warum hat er die Familiendecke verlassen, nicht weit entfernt steht Amnon, groß und ein wenig gebeugt, eine Frau in einem langen Kleid spricht ihn an, während ich meinen Blick über den Rasen schweifen lasse und nach den Kindern Ausschau halte.
Vielleicht hat niemand gemerkt, dass sie verschwunden sind, nicht einmal mehr ihre Stimmen sind zu hören, vielleicht hat die Königin Schabbat sie entführt und in ein anderes Land gebracht und dort wandeln sie in weißen Gewändern wie Engel umher, lange Kerzen in den Händen, und das Wachs tropft auf ihre Hände, auf ihre abgekauten Fingernägel, rinnt über ihre Arme auf ihren leicht gewölbten Bauch, sammelt sich in der ovalen Vertiefung ihres Nabels und läuft über ihre schmalen Hüften auf die Oberschenkel, seht nur, unsere Kinder sind von Kopf bis Fuß mit Wachs bedeckt, unsere Kinder haben sich in Kerzen verwandelt, in Wachsstatuen, und wir werden hier bis zum Morgengrauen bleiben, verwaist, ein vulgärer bunter Haufen, in Trauer vereint, und mit einem Mal kehrt der Fluch meines Vaters zu mir zurück, ergreift Besitz von meinem Inneren, bis ich das Gefühl habe, dass alle seine Stimme hören können, er wird es nicht überleben, er wird ausgelöscht werden, die Stimme ist wirklicher als das freudige Geschrei der zu uns zurückkehrenden Kinder, die auf dünnen Beinen hüpfen, wie weiße Raben, bevor man sie schwarz anstrich, als Strafe dafür, dass sie nicht zu Noahs Arche zurückgekommen sind. Mama, die Königin Schabbat ist schön wie eine Braut, schreit Gili, rennt begeistert auf mich zu, mit roten Wangen und die Hände voller Süßigkeiten, sie hat blonde Haare und einen Brautschleier und ihr Gesicht ist rosa, wir haben sie am Himmel gesehen, sie hat uns Süßigkeiten heruntergeworfen, direkt vom Himmel, und ich drücke ihn an mein Herz, streichle seine verschwitzten Haare, du kostbares Kind, in deinem kleinen Körper habe ich mir ein Haus gebaut, das einzige Haus, in dem ich sicher bin, frei, geliebt, denn das ist das Antlitz der Liebe, ihre Manifestation, Herbstlaubaugen und kleine wacklige Zähne, eine schmale, zarte Nase und mit Schokolade verschmierte Wangen.
Er drückt mir ein klebriges Weingummi in die Hand und rennt zu seinem Vater, ich humple hinter ihm her zu dem Lager, das sich mit Leben füllt, nun, da wir wieder vereint sind, müssen wir zu unseren Plätzen zurückkehren und der Regie der Lehrerin folgen und uns, wie jede Familie, vorstellen, mit Namen und, zu meinem Schrecken, auch mit Hobbys, und schon sind wir an der Reihe, Gili zwitschert mit seiner hohen Stimme, mein Vater heißt Amnon und meine Mutter Ella, und ich Gil’ad, aber ich werde Gili genannt, und als die Lehrerin fragt, und was macht ihr gerne zusammen, zögert er ein wenig, und dann murmelt er leise, wir streiten uns gern.
Man versteht dich nicht, Gil’ad, sagt die Lehrerin, du musst lauter sprechen, und er murmelt, wir streiten uns gern, und die Lehrerin wiederholt seine Worte erstaunt, streiten? Wie schön, und dann macht sie gedankenlos weiter mit Familien, die gerne Picknicks machen, ins Ausland verreisen oder schwimmen und tauchen oder zusammen ins Kino gehen, und ich beobachte beschämt die stolzen Frauen, die mit angespanntem Lächeln ihre Kinder beim Sprechen beobachten, bestimmt hat Amnon Recht und sie kennen ebenfalls Schwierigkeiten und Streitereien, und trotzdem sehen sie zufrieden aus, als hätten sie eine Entscheidung gefällt, vielleicht haben sie wirklich alle einen Bund geschlossen, einen Bund wie der, den mein Vater mir empfohlen hat, der vollkommenes Glück ermöglicht, der die Erwartungen begrenzt und die Träume tötet, dafür aber große Gelassenheit verleiht. Ich überlege, ob ich mich nicht auch danach richten müsste, und wieder lehne ich mich auf, nein, ihr Weg ist nicht meiner, ihr Leben nicht meines, und mir ist, als würde ich einen geheimen Wettkampf zwischen ihnen und mir
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