Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
Zukunft ohne mich.
Und dann probierte ich aus, ob ich mich noch an Aries Gesicht erinnerte, das mir immer von Rauch bedeckt erschien, auch wenn er nicht rauchte, und der Rauch verwischte seine Züge, als wollte er sagen, was spielen die Details schon für eine Rolle, und hinter dem Rauch war sein stilisiertes Gesicht zu erkennen, mit dieser Mischung aus Autorität und Anarchie, als wäre er erhaben über Gut und Böse, über Moralisches und Unmoralisches, das Übliche und das Unübliche, und mit einer gewissen Wut dachte ich, wer hat ihn da hingestellt, so hoch über allem, und ich sagte, er, und dann du, das heißt ich.
Dann versuchte ich mir noch andere Dinge vorzustellen, um mich abzulenken und die Zeit totzuschlagen, ich versuchte, mein erstes Zuhause zu rekonstruieren und mich zum Beispiel zu erinnern, ob Rauhputz an den Wänden war, und ich entschied, daß am Anfang keiner da war, später aber doch, und ich dachte, das Haus hat genau so ausgesehen, wie ein Haus auszusehen hat, oder wie man meint, daß ein Haus auszusehen hat, das heißt wie die Karikatur eines Hauses. Sogar ein Ziegeldach hatte es gehabt, wenn ich mich nicht irrte. Warum sollte ich mich irren, fast zwanzig Jahre lang war es mein Zuhause gewesen, ich mußte es doch am besten kennen, aber manchmal blieben einem die bekanntesten Dinge nicht in Erinnerung, als würde der tagtägliche Anblick einer Sache einen davon abhalten, den Einzelheiten Aufmerksamkeit zu schenken. So wie die Geschichte von Tante Tirza, die meine Mutter mit solchem Vergnügen erzählt hatte, nämlich daß Tirza an dem Tag, an dem sie sich nach dreißig Jahren Ehe von ihrem Mann scheiden ließ, ihn morgens verwöhnen wollte und fragte, wieviel Zucker nimmst du in den Kaffee, und er sagte, daß er schon seit dreißig Jahren nur Süßstoff benutze.
Das ist kein Alter, sich scheiden zu lassen, fünfzig, hatte meine Mutter seufzend gesagt, genausowenig wie zwanzig ein Alter zum Heiraten ist, aber vermutlich führt eine Dummheit zur nächsten, und dann hatte sie mir einen drohenden Blick zugeworfen, wie um zu sagen, wenn ich nicht aufpaßte, wäre dies das Schicksal, das mich erwartete. Sie hat ihn nicht geschätzt, wie es sich gehört, ihren Ehemann, hatte meine Mutter gesagt, er war zu gut für sie, und sie wollte vermutlich ein bißchen leiden, sie wollte nicht ihr Leben beschließen, ohne eine ordentliche Portion Leid, und so hat sie sie bekommen, ihre Portion, mit Zins und Zinseszins.
Sie war groß und dünn, meine Tante Tirza, gut aussehend und kühl, und nie konnte ich mir vorstellen, daß sie wirklich litt, sie wirkte immer so gleichgültig und gelangweilt, eine Frau, die sogar das Leiden langweilte, und ihr Mann, Onkel Alex, sah neben ihr wie ein Käfer aus, klein und schwarz und fleißig, ich konnte verstehen, warum er ihr auf die Nerven gegangen war, aber er fand ziemlich schnell eine jüngere Frau, die ihn bewunderte, und er wurde tatsächlich wunderbar. Manchmal brachte er sie an den Schabbatot zu uns, um mit ihr anzugeben, und dann staunte ich über seine Verwandlung, plötzlich sah er richtig männlich aus und war selbstsicher und humorvoll, und auch Tante Tirza wunderte sich hinter der Schlafzimmertür, wo sie sich bei solchen Gelegenheiten versteckte. Meine Mutter informierte sie im voraus über die Besuche, und obwohl Alex ihr Bruder war, zog sie Tirza offensichtlich vor, und sie lud sie ein, um heimlich zu lauschen, und mein Vater wurde gereizt und drohte jedesmal, dies sei das letzte Mal gewesen, er sei nicht mehr bereit, diese Tricks zu dulden. Meine Aufgabe war es, Kaffee und alle möglichen Essensreste zu Tante Tirza zu schmuggeln und ihren Aschenbecher zu leeren, und einmal sah mich Onkel Alex mit einem vollen Aschenbecher in der Hand und sagte mißtrauisch, was soll das, Ja’ara, du rauchst schon, als ob es klar wäre, daß ich eines Tages mit Asche angefüllt wäre und dies wäre nur der Anfang, und ich sagte, nein, ich räume nur ein bißchen auf, und er sagte, sehr lieb, wirklich, sah aber dennoch besorgt aus, und später sagte er zu meiner Mutter, ich würde wirklich schön, aber es sei keine gute Schönheit. Warum denn nicht, fragte meine Mutter, und er sagte, eine Schönheit wie die ihrer Tante, die im Menschen selbst bleibt und niemandem Freude macht, noch nicht mal dem Betreffenden selbst. Das alles hörte Tirza und steckte eine Zigarette nach der anderen an, und wenn das glückliche Paar weg war, kam sie erschöpft und mit roten Augen aus dem
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