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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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in Grenzen an der Aktion zu beteiligen, ich war gleichgültig, stieß seine Hände aber nicht weg, und dann fing ich seinen Blick auf, einen hilflosen, verzweifelten Blick, er wußte nicht, was er nun mit meinen Gliedern oder mit seinen anfangen sollte, und er tat mir so leid, ich verstand nur zu gut, was das Wort Mitleid bedeutete, denn mein Mitleid floß wie ein Strom, sogar unten fühlte ich feuchtes Mitleid, und ich versuchte, mich zu animieren, als wäre ich mit Arie zusammen oder als würden beide, Arie und Schaul, mir zusehen, ein Auftritt verpflichtet, deshalb gab ich mir Mühe, mich zu bewegen und ihn zu streicheln, doch er war schon erloschen, lag wie tot neben mir, mit offenen Augen, und ich hatte vergessen, was man tut, jede Bewegung kam mir lächerlich vor, also streichelte ich einfach seine Locken und brachte sie durcheinander, und ich küßte seine Stirn und seine Augen, schon immer fühlte ich mich entspannter mit seinem Gesicht als mit seinem Körper, und dann lag ich neben ihm, wir hielten uns an den Händen und verflochten unsere Finger ineinander, nackt, aber geschlechtslos, wie Kinder im Kinderhaus eines Kibbuz, und hörten dem Regen zu.
    Die ganze Zeit hatte ich Angst, daß er reden wollte, aber zu meinem Glück schlief er ein, ich hörte seine leisen Atemzüge, sogar im Schlaf ist er sehr wohlerzogen, bis ich sie nicht mehr hörte und plötzlich sicher wußte, es war vorbei, das war’s, plötzlicher Kindstod, das war der Tod, der zu ihm paßte, und ich berührte seine Locken, wagte nicht, sein Gesicht anzufassen, und dachte allen möglichen Blödsinn, zum Beispiel, mal sehen, wie seine Locken kalt werden, und dann stellte ich mir vor, wie man mich zur Polizei bringen und sagen würde, ich sei eine Mörderin, weil ich nicht wirklich mit ihm schlafen wollte, und alle würden mit dem Finger auf mich deuten und im Chor singen, sie ist eine Mörderin, sie hat den Arsch nicht bewegt, und ich werde sagen, wieso, ich bin nicht schuld, das war plötzlicher Kindstod, der Tod der Engel, und sie werden sagen, du machst Witze, plötzlicher Kindstod mit Dreißig? Und dann würde ich dort auch Schaul sehen, in der schwarzen Robe der Richter, und ich würde zu ihm rennen und sagen, erinnerst du dich an mich, Schaul, ich bin Ja’ara, die Tochter von Korman, du mußt mich hier rausbringen, und er würde sagen, von Korman? Du lügst, Korman hat keine Tochter, und ich würde schreien, erinnerst du dich nicht an mich? Im Vergleich zu völlig Fremden hat es zwischen uns eine außerordentliche Intimität gegeben, sogar mein Vater, der mir die Windeln gewechselt hat, kennt mich nicht so gut, wie du mich kennst. Dann würde ich anfangen, mich auszuziehen, um seiner Erinnerung nachzuhelfen, ein hilfloser Versuch, denn was gibt es an meinem nackten Körper, was ihn zu etwas so Besonderem macht, daß er sich in die Erinnerung eingräbt, und während ich nackt vor ihm stehe und sogar versuche, die Bewegungen zu rekonstruieren, die ich damals gemacht habe, auf seinem Bett, Bewegungen wie in einem Pornofilm, fängt er an, sich zu erinnern, streichelt mich lustlos mit seinen weißen Fingern und sagt, ja, kann sein, ich erinnere mich undeutlich, aber du bist doch aus irgendeinem Kibbuz im Negev, nicht wahr? Und ich sage, nein, das war ein Witz zwischen mir und Arie, und er blinzelt mißtrauisch und sagt schließlich, schau, selbst wenn ich dich hier rausholen wollte, ich könnte es nicht, siehst du denn nicht, daß auch ich als Gefangener hier bin, nicht als Richter, und er streckt mir die Hände entgegen, und ich sehe, daß er Handschellen trägt, und alle um uns herum fangen an zu lachen und zu singen, wenn sie es will, ist es nicht schwer, ihr Arsch bewegt sich. Ich ziehe mich schnell wieder an und suche die ganze Zeit nach Arie, er muß hier sein, genauso wie ich, sogar mit Fußfesseln, denn er ist der Gefährlichere, aber ich sehe ihn nicht, er treibt sich nicht an solchen Orten herum, er mag solche Orte nicht, und ich sage, aber ich mag sie auch nicht, und er wird sagen, wenn du nicht geliebt hättest, wärst du nicht hier.

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    5
    Als sie mich sah, rutschte sie ein Stück zur Seite, wie um mir neben sich, auf dem Bett, Platz zu machen. Das Bett selbst stand an dem großen, immer geschlossenen Fenster, das einen zufällig herausgeschnittenen, Neid erweckenden Ausblick auf die helle, provozierende Welt der Gesunden gab, einen gelblichen Berg, nicht hoch, eher ein Hügel, und zwei, drei Häuser. Das Bett, das sie ans

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