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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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die Gebrauchsanweisung zu lesen, jemand hatte die Wäsche gekocht, dabei war nur handwarmes Wasser erlaubt, und so hatte es geschehen können, daß aus einem Abendkleid ein Lumpen wurde.
    Bist du in Ordnung, Joséphine, fragte meine Tante auffällig besorgt, fast mit Vergnügen. Da ist also die andere in der Pyramide, dachte ich, die bereit ist, Tirza aus Neid zu erwürgen, so stark und gutaussehend wirkte sie neben diesem ärmlichen Rest einer Frau mit einem kaiserlichen Namen.
    Ja, ich bin in Ordnung, zischte die andere, zusammengekrümmt, eine Antwort, die albern klang, wenn man ihr schmerzerfülltes Stöhnen bedachte. Sie versuchte einen riesigen Rollstuhl zu sich zu ziehen, aber je mehr sie sich anstrengte, um so weiter schien er sich zu entfernen. Ich streckte einen Fuß aus und schob ihn zu ihr, ohne aufzustehen, es war fast kränkend, mit welcher Leichtigkeit ich das tat, und vielleicht war das auch beabsichtigt, jedenfalls dachte das Tirza, denn sie blickte mich so distanziert an, als wollte sie sagen, ich habe dich nie leiden können, aber jetzt weiß ich auch, warum.
    Doch die kleine Frau lächelte mich dankbar an, und mit überraschender Geschwindigkeit hüpfte sie in den Rollstuhl und versank sofort darin, so wie sie vorher in ihrem Bett versunken war. Im nächsten Moment war der leere Rollstuhl in dem engen Korridor verschwunden.
    Wohin will sie so eilig, fragte ich Tirza.
    Warum wunderst du dich darüber, fuhr sie mich an, hast du geglaubt, daß Sterbende nichts mehr haben, wohin sie so eilig wollen? Sterbende haben mehr zu tun als alle anderen, sie müssen noch so viel erledigen, in so wenig Zeit.
    Was zum Beispiel, fragte ich böse.
    Zum Beispiel den Besuch ihres degenerierten Mannes, der kommt jeden Tag um diese Zeit, deshalb hat sie es so eilig, weil sie immer an der Stationstür auf ihn wartet, nur um keinen Moment seines Besuchs zu verpassen, noch nicht mal die Zeit, die er für die fünfeinhalb Schritte bis hierher braucht.
    Warum ist er degeneriert? fragte ich, und sie zuckte mit den Schultern, ich weiß nicht, vielleicht irre ich mich. Vielleicht habe ich etwas gegen Männer, wenigstens gegen solche, die ihre Männlichkeit vor sich hertragen wie eine Fahne.
    Und dann kamen sie herein. Das Quietschen des Rollstuhls, ihr Gesicht, das aussah, als sei es nur irrtümlich schmerzgequält und eigentlich zu einem völlig anderen Leben bestimmt, einem leichteren, sorglosen Leben, und er, die braunen schönen Hände an den Griffen, jeden Finger in der dazugehörigen Vertiefung, schob den Rollstuhl, mit seinem wilden Gang, gebremst von den zahlreichen Hindernissen im Zimmer, sein großer Körper in dem schwarzen Pullover, den er vor genau einer Woche auch angehabt hatte, als wir nach Jaffo gefahren waren, und die verhangenen Augen in seinem gut geschnittenen Gesicht wurden noch nicht einmal durch die Überraschung, mich hier vorzufinden, zum Aufleuchten gebracht.
    Ja’ara, sagte er, was machst du hier?
    Ich besuche meine Tante, flüsterte ich verwirrt, entschuldigend, als sei ich in seinen Privatbereich eingedrungen.
    Ihre Mutter hat sie geschickt, sagte Tante Tirza, bereitwillig meine Version bestätigend, und blickte mit amüsierten Blicken von ihm zu mir.
    Ach so, er beruhigte sich und betrachtete uns prüfend, ihr seht euch wirklich ein bißchen ähnlich.
    Ich hab’s dir ja gesagt, sagte ich und lächelte sie an, aber sie beeilte sich zu betonen, wir seien nicht blutsverwandt.
    Alles um uns herum wurde rosa, denn die Sonne der Gesunden ging mitten im Fenster unter, und es sah aus, als habe sie vor, in Tante Tirzas Bett zu fallen, und die Frau im Rollstuhl schaute Arie mit rosafarbenen, erwartungsvollen Augen an, und er sagte, darf ich bekannt machen, das ist meine Frau, und deutete auf sie, als gäbe es hier im Zimmer noch andere Möglichkeiten außer ihr, und seine Stimme zitterte nicht, und als er auf mich deutete und sagte, die Tochter von Korman, wußte ich nicht, ob ich ihr die Hand drücken sollte oder ob ein Lächeln genug war, also lächelte ich und sagte, sehr angenehm, aber ich sah, daß sie noch nicht zufrieden war, und streckte ihr die Hand hin, und sie seufzte, als sei es eine furchtbare Anstrengung für sie, jemandem die Hand zu geben. Deshalb ließ ich meine Hand schnell fallen, doch gerade in diesem Augenblick streckte sie ihre aus, rosafarben und faltig wie die eines Neugeborenen, und als ich sie nahm, spürte ich eine Art Stromstoß, als übertrage sie durch die Berührung ihre

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