Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
Vom Netzwerk:
widerspenstigen Mann, der durch die Universitätsflure voller verführerischer Studentinnen lief, vielleicht war mein Stolz größer als meine Verliebtheit, meine Mutter schüttelte manchmal den Kopf und sagte, er ist ein harter Mann, so wie dein Vater, und dann widersprach ich, wie kannst du die beiden vergleichen, er ist viel wärmer und lange nicht so egoistisch, und sie wiegte zweifelnd den Kopf hin und her und fragte, wirklich?
    Ein junger Mann kaut neben mir sein Abendessen, er hat ein Gesicht, das glatt ist wie das eines Knaben, seine Haare sind lang und voll, wir haben kein einziges Wort gewechselt, und trotzdem scheint zwischen uns Nähe entstanden zu sein, weil wir das gleiche Essen zu uns nehmen, Würstchen, Räucherlachs, ein süßes Brötchen, und den gleichen Geschmack im Mund haben, und selbst das Wissen, dass diese zweifelhafte Nähe von allen Passagieren des Flugzeugs geteilt wird, schwächt das Gefühl nicht. Als er einen Schluck Wein trinkt, hebt er das Glas leicht in meine Richtung, und ich antworte mit einem verblüfften Zwinkern. Früher, als ich so alt war wie die Stewardessen, hätte mir solch eine Bewegung gereicht, um diesen wunderlichen Prozess in Gang zu setzen, bei dem die Pferde der Einbildung losgaloppieren und die Realität überholen, sie hätten dem langhaarigen jungen Mann all den Zauber zugesprochen, den ich brauchte, aber angenommen, er würde mich jetzt ansprechen, was könnte ich ihm sagen, dass ich frei bin oder was es ist, das mich mit verspäteter, überflüssiger Treue an meinen Ehemann fesselt, ist es das Kind, die Vergangenheit, gibt es überhaupt einen Weg zurück zu jener Existenz, ich wäre gerne ein junges Mädchen, würde gerne jung sein, ein bitteres, spöttisches Lächeln steigt auf meine Lippen, und er bemerkt es und lächelt mich an, über den geheimnisvoll im Dunkeln liegenden Erdteil hinweg, der sich unter uns erstreckt und atmet wie ein Tier.
    Diese Reise ist ein Geschenk des Himmels, hat Dina gesagt, du wirst andere Luft atmen, andere Menschen treffen, und ich hatte vergessen, dass sie immer näher rückte, es war schon so lange her, dass der Termin vereinbart worden war, das Programm gedruckt, das Hotel bestellt, es wird mich immer überraschen, wie die Zeit sich vorwärts bewegt, wie ein riesiger Pflug, der auf seinem Weg Felsen zermalmt, Berge verschlingt, Kontinente ausspuckt, das schlimmste Leid wird ihn nicht aufhalten, das wildeste Glück wird ihm nicht den Weg versperren, und mir fällt ein, dass ich damals zu Amnon gesagt hatte, vielleicht sollten wir zu dritt fahren, und er antwortete bitter, vielleicht sollten wir zu zweit fahren, und nun reise ich allein, wie ich ab jetzt immer allein reisen werde, und auch die Sehnsüchte verändern sich wie die flauschigen Wolken, die sich am Fenster zerdrücken. Es ist nicht nur die Sehnsucht nach dem kleinen Kind, das sich so anschmiegt, dessen Anwesenheit mir eine himmlische Ruhe schenkt, sondern auch nach dem Jungen, der ohnehin schon nicht mehr so nah ist, wie er es einmal war, von dem ich vergessen habe, wie sein neues Zimmer aussieht, von dem ich die Hälfte seines Spielzeugs nicht kenne, und wenn ich mich bücke, um ihm einen Kuss zu geben, muss ich jene andere Hälfte wegscheuchen, wie man eine Mücke oder eine Wespe wegscheucht, und sogar wenn er im Bett liegt und schläft oder in der Badewanne sitzt, umgeben von Schaumbergen, oder im Wohnzimmer auf dem Teppich spielt, begleitet ihn diese zweite Existenz, auf die ich keinen Einfluss habe, in der ich immer eine Fremde sein werde, und vielleicht ist das der Grund dafür, dass mich hier, über dem leer gegessenen Tablett, die Sehnsucht mit solcher Gewalt packt, denn mir ist plötzlich klar, dass ich das, was mir wirklich fehlt, nicht automatisch mit meiner Rückkehr bekommen werde, ich werde mich immer nach ihm sehnen, nach dem Jungen, der er vor der Trennung war, weicher, engelhafter, unschuldiger, behüteter, glücklicher.
    Wir folgen heute Abend den Spuren der Sonne wie Ritter, die nie müde werden, begleiten ihren endlosen Untergang, im Meer unter uns scheinen Tausende von Schafen zu versinken, sie schweben und werden immer blauer, ihre lockige Wolle saugt allmählich die Farbe des Meeres auf. Schau nur, würde ich zu ihm sagen, die Himmelswüste entzündet sich, nur der Mond, der plötzlich durch das Fenster schaut, erstaunt durch seine Beständigkeit, er sieht genauso aus wie von der Erde aus, wie von unserem Balkon in Jerusalem, und ich weiß, dass

Weitere Kostenlose Bücher