Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
setze mich vor den Computer, kein Kleidungsstück hängt über der Stuhllehne, vermutlich saß er dort, gestern Abend, und hat mir beim Schlafen zugesehen, was hat er gesucht, die Ähnlichkeit mit der Frau, die er einmal liebte, den Anblick ihres schlafenden Gesichts, ist das die Erklärung für die schnelle Nähe, diese überraschende Nähe, seine Liebe gab es schon, deshalb konnte sie sich so schnell zeigen, mit einer solchen Leichtigkeit und ohne Anstrengung meinerseits, aber eigentlich gilt sie nicht mir, sie ist nicht an mich adressiert. Ich habe aus Versehen ein Päckchen von der Post geholt, das einer anderen gehört, und aus Versehen habe ich es aufgemacht, und aus Versehen habe ich es genossen, aber es gehört mir nicht und wird mir nie gehören, dieses Versehen hat die Illusion von Nähe hervorgerufen, während wir uns doch fremd sind, kennen wir uns, hat er gefragt, du kennst meinen Mann nicht, hat Michal gesagt, nein, ich kenne deinen Mann nicht, aber es gibt nichts, was ich mehr gewollt hätte, als ihn kennen zu lernen, und wieder schwanke ich hin und her wie ein Vorhang bei stürmischem Wind.
In der Stunde, in der die Insel Thera bebte und in Stücke gerissen wurde, entstand eine riesige Flutwelle, die zu unglaublicher Höhe anstieg und ungestört über das Mittelmeer fegte, bis zur Küste des fernen Ägypten, dort herrschte die achtzehnte Dynastie in vollkommener Dunkelheit. O Wehklage, das Land dreht sich wie eine Scheibe, die Städte werden verwüstet, Oberägypten liegt in Trümmern, alles ist zerstört. Der Palast stürzt innerhalb eines Augenblicks in sich zusammen, wenn der Lärm und das Toben aufhören, wird es das Land nicht mehr geben, Unterägypten weint, o Wehklage, alles ist vernichtet, was man gestern noch sah, die Erde ist leer wie nach der Flachsernte, die Herzen aller Tiere weinen, die Rinder stöhnen, die Königssöhne werden auf die Straße geschickt, Seufzer erfüllen das Land, Trauerseufzer, das Land ist nicht mehr, es gibt auch kein Licht, sondern nur Finsternis, die Erde ist Sklavin des Gottes Aten, des Sonnengottes, der im Schutz der Dunkelheit zu einem einzigen abstrakten Gott wird, ohne Gestalt und Form, denn er ist die Sonne selbst, er ist das heiße Rad der Sonne in der Weite des Himmels, der Pharao Amenhotep, der den Namen Echnaton annahm, erfindet den einzigen Gott und befiehlt seinem Volk eine tiefgehende Wandlung des Glaubens, einen schwer verständlichen und schwer zu befolgenden Ritus, blind stehen die mächtigen Priester auf dem Felsen vor der aufgehenden Sonne, ziehen ihre Schuhe aus, versuchen, ihre Augen mit den erhobenen Händen zu schützen, mit derselben Bewegung, die als Priestersegen bekannt ist, während das Volk sich noch weigert, auf eine Welt voller Götter zu verzichten, und insgeheim das alte, bekannte Pantheon anbetet.
Jeden Tag ist der Weg anders, nicht, dass sich das Wetter ändert, es sind die Farben der Seele, die diese Straße in eine aufgeregte Wolke verwandeln, in einen Abgrund, in ein Blumenbeet, es zeigt sich, dass man sogar eine Straße nicht wirklich kennen kann, ganz zu schweigen von einem Menschen, und jetzt, an diesem Nachmittag, ist sie durchsichtig wie mein Glück, es scheint, als könnte ein allzu präziser Blick die Fundamente erschüttern, und ich gehe vorsichtig, verlangsame meine Schritte, versuche, heute zu spät zu kommen, erst nach den anderen Müttern, genauer gesagt, nach ihr. Die Neugier, die mich in den letzten Wochen vorwärts getrieben hat, ist innerhalb einer Nacht zu einem Widerwillen geworden, ich darf ihr heute nicht über den Weg laufen, mit ihrer vom Weinen geröteten Nase, den geschwollenen Augen, aber sosehr ich mich unterwegs aufhalte, es reicht nicht, denn am Tor stehen sie alle drei, eine hübsche Frau in einem langen schwarzen Wollmantel mit mangofarbenen Haaren und zwei Jungen, der Kopf des einen ist von einer Wollmütze bedeckt, der zweite rennt mir entgegen, wie immer eine drängende Frage auf den Lippen, die ihm wie eine Beute im Mund zappelt, Mama, kann ich mit Jotam hier bleiben, wir haben nur darauf gewartet, dass du es erlaubst, ich möchte mit ihnen Picknick auf dem Rasen machen, sag ja, sag ja, und ich sehe Michal vorsichtig fragend an, sie schickt mir ein leichtes Lächeln, sagt, es ist heute so schön draußen, ich wollte mit Jotam ein bisschen im Gras sitzen, vielleicht wollt ihr mitkommen, und ich sage, danke, wir haben es ein bisschen eilig, wir sind bei meinen Eltern eingeladen, aber sie
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