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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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putze mir die Zähne, schminke mich ab und binde die Haare zusammen, ich versuche, ihn zu ignorieren, bin mir aber die ganze Zeit seiner Anwesenheit bewusst, dort steht er, an den Türrahmen gelehnt, das Glas in der Hand, konzentriert wartet er an der verschlossenen Toilettentür auf mich wie ein Vater auf seine kranke Tochter, und als ich herauskomme, begleitet er mich zum Schlafzimmer und bittet, lass mich sehen, wie du einschläfst, und ich steige ins Bett, ein bisschen verwundert, mache ihm neben mir Platz, aber er setzt sich nur behutsam auf den Bettrand und sagt, lass mich zuschauen, wie du schläfst, und ich frage, was ist das, ein Initiationsritus zu einer geheimen Sekte? Nein, bestimmt nicht, sagt er, lass mich dich auf meine Art kennen lernen, und ich werfe ihm einen erstaunten und nachsichtigen Blick zu, es ist ihm anzusehen, wie müde er ist, gleich wird er gehen, und ich frage mich, was er sucht und ob er es hier finden wird, und so entgleitet mir auch dieser Abend, und er wird wieder aus meinem Leben verschwinden.
    Wann sehe ich dich wieder, frage ich, und er sagt, schlaf, meine Süße, was geschehen soll, geschieht, und ich protestiere, aber wenn ich schlafe, verliere ich dich, und er sagt, im Gegenteil, erklärt aber nicht, was er damit meint, und ich strecke mich im Bett aus, sage, es fällt mir schwer einzuschlafen, wenn ich beobachtet werde, und er flüstert, tu es für mich, es ist mir wichtig zu sehen, wie du einschläfst, seine Hände streicheln mir über die Haare, bis meine Augen zufallen, und ich versuche, den Mund geschlossen zu halten, damit er nicht plötzlich auffällt, aber er spricht mit einer Wärme zu mir, als wäre er mein Vater, streichelt mein angespanntes Gesicht. Geliebt wie ein Kind fühle ich mich unter der Decke, geliebt gerade wegen der kleinsten Details, von denen ich nicht erwartet habe, dass sie Liebe wecken könnten, Blätter der Ruhe fallen auf mich herab, häufen sich auf der Decke, und ich mache die Augen zu, aber statt Dunkelheit sehe ich Lichtfunken hinter meinen geschlossenen Lidern, rotes flammendes Licht, strahlende Sommersonne erfüllt mitten in der Nacht das Zimmer, und ich mache die Augen auf, doch das Zimmer ist dunkel, und als ich sie schließe, ist das Licht wieder da, zwischen meinen Lidern brennt ein Strauß roter Rosen, ihre roten Blätter verwandeln sich allmählich zu grauer Asche, die sich in kleine Krüge ergießt, ein Krug fasst einen ganzen Strauß. Schau doch, murmle ich, ein Krug reicht für einen ganzen Strauß, aber er sitzt schon nicht mehr auf meinem Bettrand, sondern vielleicht auf dem Stuhl vor dem Computer, ist er das oder nur ein Kleiderhaufen, der in der Dunkelheit die Form seines Körpers angenommen hat, und eigentlich spielt es keine Rolle, auch wenn er schon gegangen ist, ist er hier anwesend, und in dem Moment, in dem ich das verstehe, schlafe ich ein, ich sinke in den Schlaf eines geliebten Kindes, eines Mädchens, das weiß, ihr Vater sieht sie morgens gerne an, bevor es ihn sehen kann.

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    14
    Auf dem Boden des leeren glänzenden Topfes spiegelt sich mein Gesicht, ich stecke meine Nase hinein, suche vergeblich nach jenem Geruch, seltsamer als alle anderen Gerüche, warum hat er so gründlich alle Spuren der Nacht weggewischt, er hat den Rest der Suppe in den Ausguss geschüttet, er hat den Topf so glänzend sauber geputzt wie einen Spiegel, er hat das Geschirr gespült, den Tisch abgewischt und sogar eine saubere Tüte in den Mülleimer getan und die volle mitgenommen, was bringt einen Menschen dazu, alle Spuren seiner Anwesenheit zu entfernen, keine Erinnerung an sich zurückzulassen, wovor hat er Angst, was will er damit sagen, denn würde das Haus jetzt unter einem Ascheregen verschwinden, bliebe keinerlei Hinweis auf das letzte Abendessen zurück, außer der im Herzen, ist es das, was er mir sagen will, wenn du glaubst, wirst du dich erinnern, nur wenn du dich erinnerst, wirst du glauben, aber vielleicht wollte er auch sagen, es war nichts, ich habe nie in deiner Küche gestanden und Suppe gekocht, nie habe ich neben dir auf dem Sofa gesessen und dir zugehört, nie habe ich dich auf deinem Weg in den Schlaf begleitet.
    Warum wollte er, daß ich mich auszog, ohne dass er es selbst tat, warum wollte er mich streicheln, ohne dass er gestreichelt wurde, warum wollte er Lust geben, ohne selbst Lust zu empfangen, was ist die Erklärung für diese seltsamen Dinge, die mich gestern Abend verzaubert haben, heute aber verwirren, und ich

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