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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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und meine ganze Entschlußkraft aufsaugte und mein Leben beherrschte und mir nichts dafür gab, außer diesem Luxus, ohne Kraft, Zeit und Willen zurückzubleiben, und selbst das tat er mit einer solchen Gleichgültigkeit, als erweise er mir eine Gnade, wenn er mir erlaubte, mein Leben für ihn zu vergeuden.
    Ich zog eine schwarze Lederhose an und eine blaue Samtbluse, die gut zu meinen Augen paßte, und schon als ich in den Spiegel blickte, fand ich es schade, daß er mich nicht so sehen konnte und daß ich mein Aussehen an den Dekan vergeudete, doch ich sagte mir die ganze Zeit, die Zerstörung des Tempels, das ist für dich jetzt wichtig, nichts anderes, und noch einmal sah ich Joni vor mir, der uns Kognak servierte, und ich zog ihm sogar so eine neckische Schürze an, wie Kellnerinnen sie tragen, und begann zu lachen, bis mir plötzlich einfiel, wie traurig das eigentlich war.
    Ich stellte fest, daß Joni das Auto genommen hatte, also ging ich zur Haltestelle und kam ein bißchen in Bedrängnis, weil es der Bus war, der am Krankenhaus vorbeifuhr, und das war ein kleiner Umweg, aber er fuhr schnell, es war später Vormittag, und die Straßen waren leer, und ich dachte an das leere, verlassene Haus, mitten in den Zitrusplantagen versteckt, das immer auf mich gewartet hatte, als ich noch ein Kind war. Goldglänzende Wege führten dorthin, gesäumt von düsteren Zypressen, von denen immer eine gebogen oder abgebrochen war, und dazwischen blitzten fröhlich bunte Wandelröschen, orange und lila und gelb und rot und weiß, und sie schienen immer größer zu werden, je näher ich dem verlassenen Haus kam, und als das Haus in Sichtweite war, hatten sie schon die Größe von reifen Klementinen. Immer wieder staunte ich, wie schön das Haus war, trotz seiner Verwahrlosung und des Zerfalls, und insgeheim nannte ich es Tempel. Es war wirklich verlassen, außer mir wurde es nur von hungrigen, stinkenden Plantagenarbeitern aufgesucht, ich konnte ihren bitteren Geruch riechen, einen Geruch nach Müdigkeit und Pech und Bierdosen und billigen Sardinen. An kalten Abenden machten sie sich in dem Haus kleine Lagerfeuer, der ganze Boden war schwarz, auch die Wände, aber ich sah alles, wie es eigentlich sein sollte, glänzend und strahlend, prachtvoll und einladend, und so wollte auch ich gesehen werden, so, wie ich eigentlich sein sollte, und deshalb brachte ich Leute, die ich mochte, dorthin, denn mir schien, man könne mich nur dort, im Tempel, richtig sehen. Anfangs schleppte ich Schulfreundinnen hin, und sie hatten ein bißchen Angst, sie fühlten sich nicht wohl so allein in dem verlassenen Haus im Schatten der Orangenbäume, später meinen ersten Freund, und wir saßen in dem verwilderten, überwucherten Garten, in dem versteckt einzigartige riesige Blumen wuchsen, und ich bildete mir ein, das wäre unser Haus, und wir küßten uns zwischen den Guajavabäumen, und ich biß in die reifen Früchte, ohne sie vom Baum zu pflücken, um ihm zu zeigen, daß sie ganz rot waren, und meine Lippen schwollen vor lauter Küssen, und ich hatte Angst, nach Hause zu gehen, was sollte ich meinen Eltern sagen, etwa daß mich eine Biene in die Lippen gestochen hatte, aber mein Freund sagte, sie sähen überhaupt nicht geschwollen aus, sie fühlten sich nur so an, und ich war böse auf ihn, weil es seinetwegen passiert war, aber ich ließ mir nichts anmerken, damit er nicht gekränkt war. Und dann stiegen wir die breite halbzerfallene Treppe hinauf und liefen durch die Zimmer, stellten uns ihre frühere Pracht vor, und über eine schmale Wendeltreppe kletterten wir auf das Dach und betrachteten die Plantagen, die sich ins Unendliche hinzogen, grün und grün und grün. Erst als es dunkel wurde, kehrten wir nach Hause zurück, die Kälte brannte an meinen Lippen, aber mein Freund versicherte mir, daß man nichts von der Schwellung sah, und ich verstand nicht, wie etwas, was man so deutlich fühlte, dem Auge verborgen bleiben konnte, und auch meine Brustwarzen brannten, und ich bedeckte meine Brüste unter der Bluse mit den Händen, und er pflückte eine Handvoll Wandelröschen und streute sie mir auf den Kopf, und zu Hause verrieten mich diese Blüten, nicht meine Lippen, und meine Mutter sagte, wo hast du gelegen, woher kommt dieses Unkraut auf deinem Kopf, das ist das letzte Mal, daß du für einen ganzen Tag verschwunden bist, hörst du, und spätabends glaubte ich zu hören, daß mein Vater ihr zuflüsterte, was willst du von ihr, du bist

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