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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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einfach neidisch, daß sie verliebt ist und du nicht. Ein paar Monate später schlief ich dort mit ihm, mit meinem ersten Freund, auf dem geschwärzten Fußboden, neben leeren Bierdosen, Kohlen und altem Zeitungspapier, es war unser erstes Mal, und zugleich war es das letzte Mal, daß ich zu dem Haus hingegangen war, denn plötzlich ekelte ich mich vor dem Ruß, sogar die Decke über mir war verrußt, ich konnte das Haus nicht mehr so sehen, wie es wirklich war, sondern nur als eine verlassene und heruntergekommene Ruine, und sogar meinen Freund wollte ich nicht mehr sehen, denn er erinnerte mich an den Tempel, und es dauerte nicht lange, da trennten wir uns.
    Ich schaute aus dem Busfenster und spürte, daß meine Brustwarzen brannten und stachen wie damals, und ich dachte an die jungen verwöhnten Frauen, die hinauszogen und im Straßenkot Gerste sammelten und deren Brüste vor Hunger lang und dünn wurden wie Fäden, und an ihre Säuglinge, die versuchten, Milch aus diesen Brüsten zu saugen, und im Schoß ihrer Mütter starben, und ich dachte, wie gut, daß ich nicht damals gelebt habe, und zur Sicherheit bedeckte ich meine Brüste mit dem dicken Buch, und ich sah den Himmel, der sich mit Rauch bezog, und dachte, kaum zu glauben, der Rauch des Tempels steigt auf, und nur ich sehe es, bis ich verstand, daß er aus dem Schornstein des Krankenhauses aufstieg, und ich sagte zu mir, diesmal fährst du weiter, du steigst nicht aus, aber ich spürte die Anzeichen einer Gefahr, als müsse ich jemanden retten, ich konnte mich nicht verweigern, und statt weiter zur Universität zu fahren, stieg ich schnell aus, bevor die Autobustüren geschlossen wurden, und fand mich im Eingang des Krankenhauses wieder.
    Nur ein paar Minuten, beschloß ich, ich schaue nur nach, was es Neues gibt, und nehme den nächsten Autobus zur Universität, ich bin noch nicht wirklich zu spät dran, ich werde das Zimmer nicht einmal betreten, ich schaue nur kurz hinein, ob sie noch lebt. Schließlich hatte ich nicht die Absicht, ihn wiederzusehen, also mußte ich mich selbst bemühen, das zu erfahren, was ich wissen wollte, auch wenn ich nicht wußte, wozu ich dieses Wissen brauchte. Der vertraute Geruch des Krankenhauses nach Medikamenten, Essen und Heizung umhüllte mich wie ein alter Mantel, abstoßend, aber beruhigend, einschläfernd und tröstend, die Verheißung einer Behandlung, die, selbst wenn sie nichts nützte, jedenfalls gut gemeint war, und es war mir angenehm, mich inmitten so viel guter Absichten herumzutreiben, weit angenehmer als in den kalten Fluren der Universität, und ich dachte, wenn mir hier dasselbe passiert, was damals in Jaffo passiert ist, eine solche Ohnmacht, ist sofort jemand da, der für mich sorgt, ich werde ein Bett und einen Nachttisch bekommen und muß niemandem erklären, was ich hier tue, und ich überlegte sogar, ob ich so tun sollte, als würde ich ohnmächtig, und dann abwarten, was passieren würde, aber ich erinnerte mich an den Dekan, der auf mich wartete, und hatte es auf einmal sehr eilig. Seit dem Turnunterricht in der Schule war ich nicht mehr so gerannt, diesmal trieb mich eine Begeisterung, an der es mir damals gefehlt hatte, vielleicht erwartete mich am Ende der Bahn ja etwas Wundervolles, und erst vor dem Zimmer hielt ich an, stand schwer atmend in der Tür und sah erleichtert, daß Tante Tirzas Bett leer war, nur ihr kleiner Spiegel glitzerte auf ihrem Kissen wie ein Messer, und in dem Bett daneben lag mit geschlossenen Augen seine sterbende Frau, weißer als das Laken, das sie bedeckte.
    Ich trat näher und betrachtete sie neugierig, als wäre sie ein Stück von ihm, als könnte ich, wenn ich ihr Geheimnis herausfand, auch seines finden. Sie sah schrecklich aus, aber anrührend, wie ein Ungeheuer, das eine edle Seele in sich birgt und dem man die ganze Zeit die Kämpfe ansieht, die sich in seinem Inneren abspielen, in manchen Momenten hat die Seele die Oberhand, dann wieder das Ungeheuer. Als sie langsam die Augen öffnete, schien gerade die Seele gesiegt zu haben, sie waren blau und leuchtend, aber je weiter sie aufgingen, um so klarer sah ich, daß der Kampf verloren war, denn ihre Größe war furchterregend, und ihr Blick wurde glasig, als sie verstand, wo sie war und in welchem Zustand. Die Tochter von Korman, murmelte sie mit einem starken französischen Akzent, als sie mich erkannte, und ich nickte bestätigend und dachte, in der letzten Zeit habe ich diese Formulierung immer wieder gehört,

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