Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
Vom Netzwerk:
einigen Monaten feierlich geliehen hatte, ein seltenes Exemplar aus seiner Privatbibliothek.
    Ich nahm das Buch mit ins Bett und begann es mit den zusammengeknüllten Papiertüchern sauberzumachen, die ich nachts um mich verstreut hatte, Joni war sicher, daß ich wegen der armen kranken Tante Tirza weinte, und nachdem das Buch einigermaßen gereinigt war, fing ich an zu lesen und konnte nicht mehr aufhören, und plötzlich wurde mir klar, daß ich darüber meine Arbeit schreiben würde, über die Geschichten von der Zerstörung des Tempels, und ich dachte, was für ein Glück, daß es jetzt keinen Tempel mehr gibt, sonst würde ich bei jeder Sache, die ich falsch mache, glauben, er würde meinetwegen zerstört, wie der Gehilfe des Zimmermanns, der durch Betrug dem Zimmermann die Frau stahl, ihm zur Scheidung riet und ihm das Geld lieh für die Summe, die er laut Heiratsvertrag seiner Frau bezahlen mußte, und als der Zimmermann seine Schuld nicht bezahlen konnte, mußte er sie bedienen, und sie aßen und tranken, und er stand daneben und bediente sie, und Tränen flossen ihm aus den Augen und fielen in ihre Gläser. Ich versuchte mir vorzustellen, wie Arie und ich Wurst essen und Kognak trinken und Joni uns die Gläser füllt und weint, und vor lauter Kummer fing ich selbst an zu weinen und beschloß, Joni nie zu verlassen, denn erst jetzt hatte ich erkannt, daß er mich wahrhaft liebte, und man kann niemanden verlassen, der einen wahrhaft liebt, aber dann dachte ich, einen Moment mal, und was ist mit dir, wo ist deine Liebe, und entschied, ich sei vielleicht wie die Frau in dieser Geschichte, von der man nicht wissen konnte, was sie wirklich fühlte, man konnte es nur an dem erraten, was sie tat.
    Und vor lauter Nachdenken über meine Handlungen tat ich gar nichts, bis ich einen Anruf von der Fakultät bekam und die Sekretärin sagte, der Dekan wolle mich sprechen, und in ihrer Stimme lag Schadenfreude, ich wußte schon immer, daß sie sich wunderte, warum der Dekan sich ausgerechnet um mich besonders kümmerte, und um die Wahrheit zu sagen, ich wunderte mich ebenso wie sie und erwartete die ganze Zeit, daß die Sache aufhören und er feststellen würde, daß ich doch weniger vielversprechend war, als er glaubte, und ich von einer großen Hoffnung zu einer großen Enttäuschung würde. Ich wußte, solche Sachen passieren von einem Tag auf den anderen, und wegen ihrer Schadenfreude glaubte ich, dieser Tag sei nun gekommen, mein Herz fing heftig an zu klopfen, ich umklammerte fest das dicke Buch, und vor lauter Anspannung fing ich an, lauter Eselsohren hineinzumachen, bis mir klar wurde, daß ich dabei war, diese einzigartige Ausgabe aus seiner Privatbibliothek zu zerstören, und in diesem Moment hörte ich seine angenehme Stimme mit dem englischen Akzent, und er sagte, bei einer Fakultätskonferenz seien Beschwerden über mich geäußert worden, daß ich meine Sprechstunden vernachlässigte und noch keinen Vorschlag für meine Abschlußarbeit eingereicht hätte, und wenn das so weitergehe, werde ich die Stelle nicht bekommen. Noch nicht mal ich werde Ihnen helfen können, sagte er, wenn Sie sich nicht selbst helfen. Wissen Sie eigentlich, wie viele Anwärter ich für diese Stelle habe? Und ich wartete, bis er fertig war, dann sagte ich mit einem entschuldigenden Ton in der Stimme, daß sich alles nur verzögert habe, weil es mir nicht gelungen sei, ein Thema für meine Arbeit zu finden, aber genau an diesem Morgen hätte ich mich entschieden, nämlich für das Thema des Zerbrechens der Personen in den Geschichten von der Zerstörung des Tempels, sagte ich, darüber würde ich schreiben, und er sagte, wir sollten uns treffen und die Sache erörtern, und er fügte hinzu, ich habe gleich eine Freistunde, die würde ich Ihnen gerne widmen. Und ich sagte, schön, ich mache mich gleich auf den Weg, und beschloß, im Schrank nach einem Kleidungsstück zu suchen, das zu einer Karrierefrau paßte, ab jetzt sollte das mein neues Outfit sein, eine Frau mit einer vielversprechenden akademischen Karriere und einem liebenden Ehemann, der sich sogar bückte, um sie zu küssen, ich würde anfangen, mit einer Zigarettenspitze zu rauchen, und mir die Haare kurz schneiden lassen, dann brauchte ich auf niemanden neidisch zu sein, und wenn ich ihn mal zufällig auf der Straße traf, würde ich hochmütig lächeln und noch nicht mal bei ihm stehenbleiben. Wer war er überhaupt? Eine Saugpumpe, die meine ganze Kraft und meine ganze Zeit

Weitere Kostenlose Bücher