Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
am Schluß werde ich noch vergessen, wie ich heiße, und sie sagte müde, deine Tante wird gerade versorgt, sie wird erst mittags wieder dasein, und ich fragte, was für eine Versorgung, um Zeit zu gewinnen, und sie seufzte nur und sagte, besser, du weißt das nicht, und ich sagte, versorgt werden ist wie bei einem kleinen Kind, es ist ein gutes Wort, und sie sagte wieder seufzend, wer will schon mitten im Leben versorgt werden, und fast hätte ich gesagt, ich.
Ich wollte noch ein paar Minuten bleiben, deshalb fragte ich sie, ob sie etwas brauche, und sie sagte sofort, sie hätte gerne ein Glas Tee, und erklärte mir genau, wie dieser Auftrag auszuführen sei, und ich zog los und bewegte mich tapfer zwischen verschiedenen Becken und Wasserhähnen, stolz auf die Anweisungen, die ich erhalten hatte, zwei Löffel Zucker, zwei Teebeutel und viel Milch, und wunderte mich ein wenig, warum ein halber Mensch alles doppelt wollte. Als ich zurückkam, hatte sie sich im Bett aufgesetzt, ein roter Pulli lag über ihren Schultern, und ihr Gesicht zeigte ein übertrieben dankbares Lächeln, als hätte ich ihr mindestens das Leben gerettet. Ich wurde langsam unruhig, zum einen, weil mich der Dekan erwartete, zum zweiten, weil Tante Tirza zurückkommen und verärgert reagieren konnte, wenn sie mich sah, und am meisten fürchtete ich mich davor, daß er plötzlich in der Tür erscheinen und entdecken könne, daß ich zur Krankenschwester seiner Frau geworden war. Ich wollte schon gehen, doch da wurde sie freundlich, ja anhänglich, sie bat mich, das Bett höherzustellen und ihr ein Kissen unter die geschwollenen Beine zu legen und die Schwester zu rufen, weil sie etwas gegen Schmerzen brauchte, und ich fühlte mich endlich einmal zu etwas nütze, so daß es mir schwerfiel, wegzugehen. Dem Dekan nütze ich schon nichts mehr, dachte ich, auch mir nicht, also wenigstens diesem seltsamen Geschöpf, das so strahlend und verwelkt zugleich ist.
Ihre Beine waren schwer und angeschwollen, als würden sie gleich platzen, von dunkelgelber Farbe, und als sie sie mir entgegenhob, nahmen sie meinen Blick vollkommen gefangen. Ich schob ein Kissen darunter, das sofort von ihrem Gewicht zerdrückt wurde, dann stopfte ich ihr ein weiteres Kissen hinter den Rücken, bis es aussah, als säße sie in der Badewanne, und sie lächelte mich an und holte aus ihrer Schublade einen Lippenstift und malte sich mit einer erstaunlichen Geschicklichkeit die Lippen an, ohne Spiegel, ich würde es nie schaffen, ohne Spiegel meine Lippen zu treffen, und das Rot des Pullovers betonte das Rot ihrer schönen Lippen, isolierte sie von dem verzerrten Gesicht, und ich dachte, vielleicht ist sie auch so eine verwöhnte Frau wie Marta, die Tochter des Bitus, die sich plötzlich im Straßenkot wiederfand, und mit einer feierlichen Stimme sagte sie, als wäre das der Lohn für meine Mühe, du wirst es nicht glauben, ich erinnere mich an den Tag, als du geboren wurdest.
Wirklich, fragte ich ein wenig gleichgültig, was sie zu enttäuschen schien, der Tag meiner Geburt interessierte mich nicht besonders, warum sollte er sie interessieren, aber sie sagte, ja, zufällig war das der Tag, an dem ich Arie zum ersten Mal traf, ich erinnere mich, daß er zu mir sagte, meine Freundin hat heute ein Kind bekommen, nach vielen Jahren Behandlung.
Freundin, fragte ich, sind Sie sicher, daß er meine Freundin gesagt hat? Nicht mein Freund? Ich dachte, mein Vater war mit ihm befreundet, nicht meine Mutter, und sie schüttelte den Kopf und sagte, ich erinnere mich an jedes Wort, das er damals gesagt hat, er sagte Freundin und war so aufgeregt, als wäre er selbst der Vater. Ich erinnere mich, daß wir ein Glas auf dich getrunken haben, wir saßen in irgendeiner Bar in Paris, und Arie hat eine Flasche Champagner aufgemacht.
Sie nahm feierlich ihr Teeglas und hob es, wie um mir zu zeigen, wie sie damals, an jenem Abend, Champagner getrunken hatte, fing aber sofort an zu husten, und der Tee kippte auf das Laken, und ihre Augen wurden naß und rot, bis sie es nicht mehr schaffte, die Entfernung zwischen jenem Tag und dem Jetzt zu überbrücken.
Ich nahm ihr das Glas aus der Hand, tupfte das Laken ab und brachte ihr Wasser, und sie trank vorsichtig, und in ihren Augen mischte sich das Blau mit dem Rot zu violetten Flecken, die aussahen wie eine unbekannte Landkarte, meine alte Angst vor der Geographiestunde, Länder und Städte aus Flecken herauszufinden, die alle gleich aussahen, nie war es
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