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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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mir gelungen, irgend etwas darin zu entdecken, und auch in ihren Augen fand ich nichts, als sie, wie zu sich selbst, sagte, und dabei habe ich damals nicht gewußt, daß ich schwanger war, wie man ein Kuriosum feststellt, so sagte sie das, ein privates Kuriosum, das nur die Betroffenen amüsiert, aber ich konnte mich nicht beherrschen und fragte, schwanger? Ich habe gedacht, Sie hätten keine Kinder.
    Nein, haben wir nicht, sagte sie ungeduldig, ich war damals mit jemand anderem zusammen, wir hatten vor zu heiraten, aber dieser Abend änderte alles, der Abend des Tages, an dem du geboren wurdest. Ich wußte nicht, daß ich schwanger bin, wiederholte sie, ich verstand nicht, warum mir dauernd schlecht wurde.
    Und was ist mit dem Kind, fragte ich und spürte wieder dieses unangenehme Zittern am ganzen Körper, als ginge es um mich, und sie sagte, es gibt kein Kind, schon eine Woche später packte ich meine Koffer und zog zu Arie. Er wollte mich nicht schwanger von einem anderen Mann, deshalb habe ich abgetrieben.
    Haben Sie geglaubt, Sie würden gemeinsame Kinder bekommen, fragte ich, und sie sagte, nein, nein, ich wußte, daß wir keine Kinder haben würden.
    Und trotzdem haben Sie auf die Schwangerschaft verzichtet, sagte ich, und es gelang mir nicht, einen tadelnden Ton in der Stimme zu unterdrücken, und sie sagte entschieden, ja, ich habe darauf verzichtet, als würde sie es mit Freude noch einmal tun.
    Und bedauern Sie das nicht, fragte ich fast flehend, als wäre ich selbst der Embryo, den sie abgetrieben hatte.
    Ich bedaure mehr, daß man mich nicht zum Ballettunterricht geschickt hat, sagte sie mit einer Wut, die mich verlegen machte, der Wut von Kranken, die sich plötzlich auf etwas Nebensächliches stürzen und ein großes Ereignis daraus machen, du machst dir keine Vorstellung davon, wie ich meinen Vater angefleht habe, tanzen lernen zu dürfen, und er sagte, dafür hätten wir kein Geld. Vergangene Nacht habe ich wieder davon geträumt. Seit Beginn meiner Krankheit träume ich unaufhörlich, ich bin im Ballettunterricht und tanze in einem weißen Röckchen mit all den anderen Kindern. Ich bin sicher, wenn ich tanzen gelernt hätte, wäre ich heute nicht krank. Das werde ich meinem Vater nie verzeihen.
    Lebt er noch, fragte ich, überrascht von ihrer Aggressivität, und sie sagte, nein, aber was ändert das, ich lebe ja auch nicht mehr.
    Ihre Augen fielen zu, und ich überlegte, wie passend es wäre, wenn sie genau jetzt sterben würde, nachdem sie einen solch filmreifen letzten Satz gesprochen hatte, das würde ihn zu mir treiben, er würde auf allen vieren angekrochen kommen, um von mir die letzten Worte seiner Frau zu hören, und ich würde ihn natürlich ein bißchen quälen und eine Weile so tun, als hätte ich sie vergessen, und vielleicht wäre es sogar besser, ihre letzten Worte zu verdrehen und zu sagen, wie sehr sie die Sache mit jener Schwangerschaft bedauerte, um ihm bis zum Ende seines Lebens ein schlechtes Gewissen zu machen, aber ich sah, daß sich ihre geschwollenen Füße bewegten, und versuchte sie mir in weißen Ballettschuhen vorzustellen, und dann öffnete sie die Augen und blickte auf die Uhr, vielleicht wollte sie wissen, wie lange es noch dauerte, bis er kam, und ich erschrak plötzlich, genau das war es, was ich hätte tun sollen, aber nicht jetzt, sondern vor einer halben Stunde, gleich nach meiner Ankunft. Vor lauter Schreck konnte ich die Hand nicht bewegen, also schaute ich erst auf ihre Uhr und dann auf meine und staunte, daß beide dieselbe Zeit anzeigten, genau zwölf Uhr, in diesem Moment ging die Stunde zu Ende, die mir der Dekan zugestanden hatte.
    Ausgerechnet jetzt, wo schon nichts mehr zu verlieren war, hatte ich es eilig und sagte, ich müsse dringend zu einer Vorlesung, und sie nickte verständnisvoll, und ich bat sie, meiner Tante Tirza nichts davon zu sagen, daß ich hier war, damit sie nicht traurig würde, und sie hörte nicht auf zu nicken, und ich sah, daß die Farben in ihren Augen sich wieder getrennt hatten und wieder blau in der Mitte und rot außen herum waren, und sie sagte ernst, ich hoffe, du bist nicht gekränkt, und ich fragte, warum sollte ich, und sie sagte, weil ich am Tag, an dem du geboren wurdest, den Champagner erbrochen habe, und ich wußte nicht, ob das ein Witz war, und sagte, ach, wieso denn, wohl bekomm’s, und dachte, eine schlimmere Antwort hätte ich nicht finden können. Und bevor ich noch andere Dummheiten sagen konnte, ging ich weg,

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