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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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ganze Spannung löste sich auf, nachdem wir das Ende unserer Beziehung beschlossen hatten, und ich stand auf und streckte mich, und meine Glieder wurden unendlich lang, die Tische sahen zu, wie ich wuchs, wie die Länge meiner Gliedmaßen sich verdoppelte und verdreifachte, bis meine Finger das Sonnendach berührten, da stand er auf und umarmte mich und hinderte mich daran, mich weiter zu strecken, und meine enttäuschten Gliedmaßen fielen auf ihn, und ich sagte, warum hast du mich unterbrochen, und er lachte, seine Augen waren grün wie der Rasen um uns herum. Ich dachte damals, es sei kein Problem, den Beschluß auch auszuführen, und am Morgen trennten wir uns heldenhaft und verliebt, und ich betrachtete sein Gesicht und wußte, daß ich ihn nie wiedersehen würde, aber ich konnte nicht ahnen, daß ich hinfort immer, wenn ich frisches Brot roch, an ihn denken würde, und als ich dann Joni gegenüber saß, dachte ich, vielleicht ist es ein Zeichen, daß Joni sich mit mir ausgerechnet in diesem Café verabredet hat, ein Zeichen dafür, daß das, was hier begonnen hat, später mit ihm fortgeführt werden könnte, und ich versuchte, das alte süße Gefühl wiedererstehen zu lassen, streckte mich sogar auf die gleiche Art, doch Joni stand nicht auf, um meine Bewegung zu unterbrechen, sie gelangte schon bald von selbst an ihr Ende, und als ich mich wieder setzte, wußte ich, daß ich mich in Joni verlieben mußte, daß dies meine Chance war, jene alte Trauer in Freude zu verwandeln.
    Zwischen seinen Narben saßen irgendwie schief angeordnet zwei braune, samtige, weiche Augen, fast wie Purpurschnecken, und ein Paar Lippen, orangefarben wie überreife Pfirsiche. Etwas fehlte in dem Bild, und dann begriff ich, daß es die Nase war, nicht, daß er keine Nase gehabt hätte, sie war nur klein und stupsig wie die eines Säuglings, eine Art Knopfnase, vollkommen für ein kleines Kind, aber ein bißchen lächerlich bei einem erwachsenen Mann, und ich fragte ihn, wie alt er sei, als hoffte ich, er würde antworten, zwei Jahre, und damit das Problem lösen, aber er sagte, dreiundzwanzig, also genauso alt wie ich, und dann stellte sich heraus, daß wir am selben Tag desselben Monats geboren waren, also so etwas wie Zwillinge waren. Ich hielt das für ein weiteres Zeichen, und bei zwei Vorzeichen gab es nichts mehr zu diskutieren, und ich versuchte, in mir das Feuer anzufachen. Er erzählte mir, daß seine Mutter ein paar Wochen zuvor gestorben und er eigentlich noch in Trauer sei, und ich Idiotin sagte, wie schön, weil mir alles wie ein Zeichen vorkam, und dann sagte ich, gehen wir zu dir und verlassen eine ganze Woche lang nicht die Wohnung, denn ich hatte es im nachhinein immer bedauert, daß ich damals nicht eine Woche statt einer Nacht vorgeschlagen hatte, und Joni lächelte sein zartes Lächeln und sagte, aber ich muß zur Arbeit gehen, und ich sagte, laß doch, du hast dir einen Urlaub verdient, und so fuhr ich fort, ihn und mich anzustacheln, und wir gingen Hand in Hand zu ihm nach Hause, küßten uns im Fahrstuhl, und ich liebte ihn während dieser Woche sehr und dachte nur an ihn und daran, was für ein Glück ich hatte, weil es meinem Leben gelang, zwei Teile zu einem Ganzen zusammenzufügen. Er verliebte sich vor allem in meine Liebe zu ihm, so überzeugend war sie, und erst danach in mich selbst, und als ich ihn am Ende der Woche fragte, ob er mir versprechen würde, mich ewig zu lieben, sagte er, ja, und ich glaubte ihm und dachte an den Morgen damals, mit jenem jungen Mann, wie wir an dem Fenster gestanden hatten, das zur Bäckerei führte, und ich ihn fragte, wie es mit uns weitergehen würde, und er sagte, warum mußt du alles im voraus wissen, wie kann man alles im voraus wissen?
    Doch dann fingen wir an, in die Welt hinauszugehen, und langsam begann ich, Joni zu hassen, als hätte er mir etwas Böses angetan, je mehr er mich liebte, um so mehr haßte ich ihn, ich verstand selbst nicht, warum, als hätte er mich vorsätzlich betrogen, und am frustrierendsten war, daß ich es ihm nicht sagen konnte, so lächerlich hörte es sich an. Manchmal haßte ich ihn und manchmal mich, und in besseren Minuten uns beide. Hinter dem Haus, in dem er wohnte, war ein riesiger Park, und wir gingen nachmittags oft hin und saßen in der Sonne, und dort stellte ich ihm noch einmal die Frage, die ich jedem Mann gestellt hatte, mit dem ich zusammengewesen war, die Frage, die mir einmal auf der Zunge gebrannt hatte und die jetzt schal

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