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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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erklären, dachte ich, und er wird mir verzeihen und mich zurücknehmen müssen, und mir kam es vor, als hätte ich etwas Ähnliches schon einmal erlebt, solch ein zwanghaftes Bedürfnis, ein Geheimnis aufzudecken, und mir fiel der Wächter ein, der mit seinem Hund in einer der Baracken neben unserem Haus lebte. Ich verstand damals nicht, was er eigentlich genau bewachte, und das beschäftigte mich immer mehr, nie sah ich ihn um unsere Siedlung patrouillieren oder sonst Dinge tun, die man von Wächtern erwartete, die meiste Zeit trieb er sich vor seiner Baracke herum, in der einen Hand rohe Fleischbrocken für seinen Hund, in der anderen ein Messer, das er Tag für Tag schliff, um das Fleisch damit zu schneiden. Er legte einen Stein auf den Holzklotz, der neben dem Eingang zu seiner Baracke stand, und neben den Stein stellte er seinen großen Fuß und begann zu schleifen, und dann zog er das Fleisch hervor, als schneide er es aus seinem dicken Bein, und schnitt es in Scheiben, und der Hund tanzte wie wild herum und fing die Stücke auf, die ihm zugeworfen wurden, eines nach dem anderen, in einem fast sadistischen Überfluß, er hatte das eine Stück noch nicht gefressen, da kam schon das nächste, und statt sich auf das Fressen zu konzentrieren, schnappte er das nächste Stück, mit einer wachsenden Verzweiflung. Ich stand da und schaute zu, und einmal konnte ich mich nicht beherrschen und fragte, warum geben Sie es ihm nicht in seinem Rhythmus, und der Mann warf mir einen unangenehmen Blick zu und sagte grob, das ist mein Hund, dabei schaute er mich weiterhin forschend an, und dann verringerte er das Tempo ein wenig. Sein Gesicht war jung, aber sein Atem ging schwer und pfeifend, und zwischen seinem zu kurzen Hemd und der abgetragenen Hose war ein breiter Streifen Fleisch zu sehen, erstaunlich ähnlich dem Fleisch, das er dem Hund zuwarf, es war rosafarben, und darunter klopfte es, als habe er dort ein zweites Herz.
    Er war nicht der erste Wächter, der in jener Baracke wohnte, sie wurde sogar Wächterbaracke genannt, und die meisten waren alt und krank und liefen nachts durch die Siedlung, aber er war der erste, der in mir die Frage weckte, die auch ungeweckt hätte bleiben können, die mich aber von dem Moment an, als sie aufgetaucht war, nicht mehr losließ, die Frage, was bewacht er eigentlich? Fast immer konnte man ihn das Messer auf dem niedrigen Holzklotz schleifen sehen, mit einer herunterhängenden Hose, so daß ein Stück seiner Poritze zu sehen war, mit blauen unverschämten Augen in einem runden Gesicht, unrasiert, mit rötlichen Stoppeln auf Wangen und Kinn, und ich gewöhnte mir an, jeden Morgen dort vorbeizugehen, auf meinem Weg zur Schule, und einen Blick auf ihn zu werfen, auch mittags auf dem Heimweg, und abends ging ich immer ein bißchen spazieren, ich umrundete unsere kleine Siedlung und näherte mich vorsichtig der letzten Baracke, direkt vor den Orangenplantagen, dort, wo die Straße aufhörte, und dort sah ich ihn dann im Licht seiner Taschenlampe das Messer schärfen, und eine süße Angst ließ mich erschauern, gleich würde er mir das Messer an die Kehle setzen, aber das schien ihm überhaupt nicht einzufallen, so versunken war er in seine Angelegenheiten. Langsam kam ich zu der Überzeugung, er müsse etwas verstecken, ich wußte nicht, was, nur daß es wichtiger war als alles andere, und ich dachte, wenn ich es herausfand, wäre das unser aller Rettung, meine, die meiner Mutter und die meines Vaters und sogar eines noch größeren Kreises von Leuten, ich trieb mich also in seiner Nähe herum, der Hund kannte mich schon und bellte nicht, aber er schwieg immer nur und warf mir manchmal einen blauen spöttischen Blick zu.
    Einmal ging ich an der Baracke vorbei, und er war nicht draußen, die Tür stand offen, und ich konnte mich nicht beherrschen und ging hinein, erstaunt über die völlige Leere, noch nicht mal einen Stuhl gab es, keinen Schrank, keinen Stuhl, nur ein großes weinrotes Wasserbett bedeckte den Boden und bewegte sich wie ein großer Fisch, als ich es anstieß, und als ich mich umdrehte, um wieder hinauszugehen, sah ich ihn hinter mir stehen, sein Atem ging schwer und stank, er fragte, wen suchst du hier, mir fiel auf, daß er einen fremden Akzent hatte, und ich sagte, Sie, und er fragte, warum, was willst du von mir, und ich sagte, ich möchte wissen, was Sie bewachen, und er lächelte, und sein Gesicht wurde noch runder, ich bewache gar nichts, ich wohne hier. Aber Sie

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