Liebeslist und Leidenschaft
haben.
Diese junge Frau, die mit einem Fremden im Bett lag – das war sie doch nicht wirklich. Sicher, sie hatte jede Sekunde genossen, aber ein überwältigendes Erlebnis konnte nie ein Dauerzustand sein.
Ein schweres Schuldgefühl ergriff Besitz von ihr. Sie stand auf, ging ins Badezimmer und begann zu weinen. Nein, sie hatte sich völlig unvernünftig und verantwortungslos verhalten. Sie wusste doch gar nicht wirklich, wer dieser Mann war, mit dem sie tagelang das Bett geteilt hatte. Alles, was ihr in ihren sechsundzwanzig Lebensjahren etwas bedeutet hatte – ihre Familie, ihr Heim –, war meilenweit entfernt. Auch wenn ihr Vater das Unternehmen an Judd überschrieben hatte – war das denn wirklich so eine Tragödie? Ihr Bruder würde sie ja wohl kaum einfach aus dem Haus werfen. Genau betrachtet, war er von ihrem Vater genauso manipuliert worden wie sie. Das Gleiche galt für Anna, die Nicoles Vater so viel zu verdanken hatte, dass sie ihm einfach keine Bitte abschlagen konnte.
Ja, und ihr Vater selbst? Natürlich würde sie ihm seine Worte vom Donnerstag nicht so schnell vergeben können. Andererseits hatte er sie sechsundzwanzig Jahre lang behütet und beschützt. Er war nun einmal ihr Vater, daran würde sich nie etwas ändern. Irgendwie würde man sich schon wieder zusammenraufen können. Nicole war sogar bereit, den ersten Schritt zu tun und nach Hause zurückzukehren.
Nicole wusch sich notdürftig, verließ das Badezimmer wieder, durchquerte auf Zehenspitzen das Schlafzimmer und begab sich auf den Flur. Als sie die Schlafzimmertür geschlossen hatte, atmete sie unbewusst auf. Aber warum eigentlich? Himmel, ich habe doch nichts Verbotenes getan, ging es ihr durch den Kopf. Ich bin erwachsen und kann tun und lassen, was ich will. Das Wochenende ist toll gewesen, genau was ich gebraucht habe. Da muss ich doch jetzt nicht hier wie ein Dieb in der Nacht herumschleichen!
Sie ging in die Waschküche, wo sie am Sonntag zwischendurch ihr Kostüm, ihren Slip und ihren BH mit der Hand kurz durchgewaschen und zum Trocknen aufgehängt hatte. Schnell zog sie sich an. Ein komisches Gefühl, jetzt wieder die Bürokleidung zu tragen, nachdem sie mehrere Tage größtenteils nackt verbracht hatte.
Aus dem Wohnzimmer holte sie ihre Handtasche und kämmte sich kurz, bevor sie noch einmal ins Schlafzimmer ging, um ihre Schuhe zu holen. Anschließend würde sie sich ein Taxi rufen und zur Arbeit fahren lassen.
Nate schreckte hoch.
„Na, wo wollen wir denn hin?“, fragte er. Sein Blick war undurchdringlich.
„Es ist Montag“, merkte Nicole an. „Zeit, in die Realität zurückzukehren.“ Sie seufzte auf. „Das Wochenende war toll. Besser als toll – unübertrefflich. Danke für alles.“
„Und das war’s dann?“
Nervös lachte sie auf. „Ja, was willst du denn noch?“
„Ich will mehr. Ich will immer mehr. Vor allem von dem, was wir beide hatten.“
„Ich habe doch nicht gesagt, dass ich dich nie wiedersehen will.“
„Aber gedacht. Oder?“
Verunsichert sah sie ihn an, und ihr wurde bewusst, wie wenig sie ihn kannte. War er vielleicht in Wirklichkeit ein Psychopath, der jetzt durchdrehen würde?
„Versteh doch. Ich muss zur Arbeit.“
„Nein.“
Ihr Magen krampfte sich vor Furcht zusammen. „Nein? Was soll das heißen?“
„Das soll heißen, dass du ab jetzt mit mir arbeitest. Für mich.“
Nate stand auf und zog sich seine Jeans an. Noch einmal ließ Nicole bewundernd ihren Blick über seinen männlichen Körper schweifen. Viele heiße Stunden hatte sie mit ihm verbracht, aber jetzt durfte sie sich von diesem Anblick nicht hinreißen lassen. Sie sollte für ihn arbeiten? Was um Himmels willen meinte er damit? Sie wusste ja nicht einmal, wie er sein Geld verdiente. Und er wusste nichts über sie. Oder?
„Das … das muss ein Missverständnis sein. Ich habe einen Job, der mir viel bedeutet, und eine Familie, die ich …“
„Erzähl mir nicht, dass du deine Familie liebst, Nicole. Nicht nach allem, was sie dir angetan hat.“
Plötzlich bereute sie, dass sie sich ihm gegenüber über ihre Familie beklagt hatte. Sie war zwar nicht ins Detail gegangen, aber einiges hatte sie ihm im Laufe der vier Tage doch erzählt.
„Trotzdem … es ist immer noch meine Familie. Wenigstens muss ich mich noch einmal mit ihnen aussprechen, reinen Tisch machen.“
„Nicht mal das haben sie verdient. Davon abgesehen, reinigt der Tisch sich ganz von selbst, verlass dich drauf.“
„Wovon redest
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