Liebeslist und Leidenschaft
derartige Glücksgefühle erleben würde. Das beunruhigte sie, weil sie sich ziemlich sicher war, dass die Verbindung mit Nate nicht ewig halten würde.
Denn tief in ihr nagte ein Gefühl der Unzulänglichkeit. Noch nie hatte sie jemandem wirklich genügt, jemanden wirklich völlig zufriedengestellt. Deshalb hatte ihre Mutter sie nicht geliebt, deshalb war ihr Vater nie wirklich stolz auf sie gewesen, egal wie sehr sie sich angestrengt hatte. Und jetzt hatte sie Nate, der ihr das Gefühl gab, alles erreichen zu können – aber das war nichts, worauf sie sich fest verlassen konnte. Denn auch ihm genügte sie nicht wirklich. Er war nur mit ihr zusammen, um sich an ihrem Vater rächen zu können. Sobald er das geschafft hatte, wäre sie ihm wahrscheinlich wieder ziemlich egal.
Nate entzog sich ihr und rollte sich zur Seite. Und sofort vermisste sie seine Wärme.
„Ich entsorge lieber erst mal das Kondom“, sagte er. „Damit es nicht noch mal so eine Panne wie letztes Wochenende gibt.“
Erschrocken zuckte sie zusammen. „Panne? Was meinst du damit?“
„Hatte ich das nicht erwähnt? In unserer ersten Nacht sind wir doch beide in dieser Position eingeschlafen. Da ist das Kondom abgerutscht. Aber du nimmst doch bestimmt die Pille, oder?“
Nein, tat sie nicht. Er hätte es ihr sofort erzählen müssen, dann hätte es noch eine Lösung gegeben. Am Tag darauf hätte sie sich die „Pille danach“ besorgen können. Es war für ihren Vater sicher schon schlimm genug, dass sie mit Nate zusammen war – aber wie um Himmels willen sollte sie ihm ein Kind erklären?
„Nicole? Du nimmst doch die Pille, oder?“
„Nein“, antwortete sie nervös. „Warum hast du mir das nicht gleich erzählt? Was machen wir nur, wenn ich jetzt …?“
„Irgendwie würde ich damit schon klarkommen“, erklärte er mit fester Stimme.
Er würde damit klarkommen? Und was war mit ihr? Zählten ihre Meinung, ihre Gefühle denn nicht? Und wie würde er damit klarkommen? Würde er auf einer Abtreibung bestehen – oder ihre Schwangerschaft sogar dafür benutzen, ihrem Vater noch mehr wehzutun? In diesem Moment wurde ihr bewusst, dass Nate ihr zwar alle Freiheiten einräumte, was die Arbeit anging – aber kein bisschen Freiheit im Privatleben. Als Nate aus dem Badezimmer zurückkam und sich wieder ins Bett legte, hatte sie sich schon zur Seite gerollt und tat so, als ob sie schlief. Sie musste über vieles nachdenken, und das konnte sie nicht, wenn er sie berührte.
Am folgenden Mittwoch konnte Nicole eine positive Zwischenbilanz ziehen. Vier von den sechs Weingütern, die Judd und Anna aufgesucht hatten, waren zu Jackson Importers übergewechselt, nicht zuletzt, weil Nicole schon damals, während ihrer Projektstudie, gute Kontakte zu ihnen aufgebaut hatte. Zusätzlich hatte sie noch drei weitere Weingüter für eine Zusammenarbeit gewinnen können.
Ihr Bruder Judd war bei den Verhandlungen offenbar recht überzeugend gewesen – aber sie war eben noch besser, und das machte sie stolz. Während sie auf dem Flughafen von Auckland auf ihr Gepäck wartete, lächelte sie vor sich hin.
„Na, da scheint aber jemand mächtig mit sich zufrieden zu sein, wie?“
Es war Nates Stimme. Sie fuhr herum. Das Herz schlug ihr vor Freude bis zum Hals, aber sie wollte sich nicht anmerken lassen, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Vor allem nachts.
„Es ist gut gelaufen“, erklärte sie lächelnd. „Ich hatte gar nicht damit gerechnet, dass du mich abholst. Ich hätte mir sonst ein Taxi genommen.“
„Ich wollte dich so schnell wie möglich wiedersehen“, sagte er.
Er gab ihr einen Begrüßungskuss – flüchtig und ohne viel Gefühl. Irgendwie enttäuschend. Nate überraschte sie immer aufs Neue, und nicht nur positiv. Manchmal konnte er so liebevoll sein, aber dann wieder …
Sie blickte auf das Förderband. „Oh, da kommt meine Reisetasche.“
Nate hatte die Tasche extra für ihre Reise für sie bestellt, ein knallrotes Teil, eigentlich ein wenig zu auffällig für ihren Geschmack. Aber wenn es ihm gefiel …
Er schnappte sich die Tasche, legte Nicole die Hand auf den Rücken und führte sie hinaus zum Parkhaus.
„Fahren wir direkt ins Büro?“, fragte sie, als sie auf der Straße waren.
„Nein.“
„Oh. Ich dachte …“
„Ich habe Bescheid gesagt, dass wir erst am Nachmittag reinkommen.“
Nicole war überrascht. Sie hatte damit gerechnet, dass sie sofort dem Team Bericht erstatten sollte. Es war wichtig, keine Zeit zu
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