Liebeslüge, Liebesglück? (Julia) (German Edition)
Wein gebrauchen“, sagte Ian mit leicht bebender Stimme. Er nahm eine Flasche Weißwein aus dem Kühler. Es herrschte Schweigen, während er vier Gläser vollschenkte und jedem eins reichte.
Marisa trank einen großen Schluck, denn auch sie hatte das Gefühl, eine Stärkung zu brauchen. Als sie das Glas auf das blendend weiße Tischtuch stellte, zitterte ihre Hand leicht. Sie blickte zu Athan hinüber, dessen Miene undurchdringlich war. Heftige Gefühle wurden in ihr wach, doch sie unterdrückte sie rigoros. Ich darf mir nichts anmerken lassen, dachte Marisa, aber ihr Herz klopfte wie verrückt. Jetzt ging es allein darum, Ian zur Seite zu stehen. Der arme Kerl wirkte furchtbar aufgeregt.
Er trank einen großen Schluck Wein, straffte sich und sah seine Frau an. „Marisa ist meine Halbschwester. Wir haben denselben Vater. Ihre Mutter …“, er unterbrach sich.
Marisa bemerkte, wie angespannt Athan bei diesen Worten wurde. Ihre Blicke begegneten sich, und sie sah, dass er genau wusste, was als Nächstes gesagt werden würde. Sie würde das tun müssen. Es war nicht fair, das Ian zu überlassen.
„Meine Mutter …“, sie schluckte und sah zu Eva hinüber. „Meine Mutter war die Geliebte von Ians Vater.“ Sie senkte den Blick und konnte einen Moment lang nicht weitersprechen, als schmerzliche Erinnerungen und tiefer Kummer sie überwältigten.
Eva sagte etwas auf Griechisch, das Marisa nicht verstand. Doch es war unverkennbar, wie erschüttert sie war. Überrascht klang sie merkwürdigerweise nicht.
Nun sprach Ian wieder. Er klang wie so oft bei ihren früheren Gesprächen über das Thema: matt und resigniert.
„Ihr wisst ja beide, wie er war. Du, Eva, wegen der langjährigen Freundschaft, die deine Mutter und meine verband. Sie hat meine Mutter über lange unglückliche Jahre hinweg getröstet und unterstützt. Sogar, als mein Vater zu einer Bedrohung für die Ehe deiner Eltern wurde, stand sie ihr als Freundin bei.“ Nach einem weiteren Schluck Wein fuhr er fort: „Marisas Mutter war weder seine erste Geliebte noch seine letzte. Aber sie war …“ Er unterbrach sich und nahm tröstend Marisas Hand. „Sie war die Einzige, die den folgenschweren Fehler beging, sich ernsthaft in ihn zu verlieben.“
Nun übernahm Marisa wieder. Sie sprach leise und konnte weder Eva noch Athan in die Augen sehen. „Ich möchte das, was meine Mutter getan hat, nicht schönreden. Schließlich wusste sie, dass ihr Geliebter verheiratet war. Doch er hatte ihr weisgemacht, er und seine Frau seien sich schon bei ihrer Hochzeit einig gewesen, dass es in ihrer Ehe vor allem um Geschäftliches und um den Familienbesitz gehe – darum, Vermögen und Familienerbe zu erhalten. Er habe seine Frau nicht aus Liebe geheiratet.“ Marisa atmete tief ein. Als sie den Blick hob, waren ihre Augen voller Trauer und voller Mitleid für ihre vertrauensselige, vor Liebe blinde Mutter. „Sie entschied sich, ihm zu glauben. Er umwarb sie unermüdlich, weil sie Nein zu ihm gesagt hatte“, fuhr sie mit bebender Stimme fort. „Er war es nicht gewohnt, von Frauen abgewiesen zu werden. Also erzählte er ihr einfach etwas, mit dem er sie auf jeden Fall ins Bett bekommen würde: Seine Frau habe einen anderen Mann kennengelernt und wolle sich von ihm scheiden lassen. Als meine Mutter nachgegeben hatte und dann kurz darauf feststellte, dass sie schwanger war, wollte er plötzlich nichts mehr von ihr wissen. Endlich merkte sie, wie naiv sie gewesen war. Doch leider kam diese Einsicht zu spät.“
Marisa seufzte schwer und fuhr fort: „Sie bekam von Ians Vater eine größere Summe Geld – damit kaufte sie das Cottage, in dem ich aufgewachsen bin – und erhielt regelmäßig Geld für ihren Lebensunterhalt. Dafür zwang er sie zu der schriftlichen Zusicherung, niemals Unterhaltszahlungen von ihm zu verlangen. Meine Mutter war so verzweifelt, dass sie einwilligte und sich widerstandslos und ohne einen Mucks aus seinem Leben werfen ließ. Sie zog nach Devon. Ich wusste als Kind und Jugendliche nichts über meinen Vater, außer dass er die große Liebe ihres Lebens gewesen war, wie sie mir immer wieder erzählte. Nach ihrem Tod bin ich nach London gefahren, um ihn zu finden. Leider hatte ich keinen Namen, nur ein Foto, das meine Mutter aufgehoben hat …“
„Und so ist Marisa auf mich gestoßen“, übernahm Ian. „Es war wirklich ein unglaublicher Zufall. Sie hat einen Job bei einer Reinigungsfirma angenommen, zu deren Kunden auch unsere
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