Liebesmaerchen in New York
Familie von dem bösen ›Red Arrow‹, der die Macht ergreifen wollte, ausgelöscht worden ist.«
»Genau.« Radley strahlte. »Aber er hat sich an ›Red Arrow‹ gerächt.«
»In Heft 73.«
Hester starrte von einem zum anderen. Der neue Nachbar unterhielt sich tatsächlich ernsthaft mit dem Jungen. Er wollte ihm damit nicht nur eine Freude machen, sondern war von Comics genauso besessen wie ihr neunjähriger Sohn.
Seltsam, dachte sie, eigentlich sieht er ganz normal aus. Er kann sich auch ordentlich ausdrücken. Sie gestand sich ein, dass es sie nervös machte, neben ihm zu sitzen, weil von seinem kräftigen Körper und seinem gut geschnittenen Gesicht eine so deutlich männliche Ausstrahlung ausging. Und sich von einem Nachbarn in dieser Hinsicht beeindrucken zu lassen war das Letzte, was sie im Sinn hatte, zumal dieser Nachbar in seiner geistigen Entwicklung offensichtlich zurückgeblieben zu sein schien.
Mitch blätterte ein paar Seiten um. Seine Zeichnungen waren in den letzten zehn Jahren eindeutig besser geworden. Es tat ihm gut, das festzustellen. Trotzdem war es ihm gelungen, die Einfachheit und Klarheit der Figuren zu erhalten, die ihm eingefallen waren, als er vor zehn Jahren noch in der Werbung sein freudloses Brot verdient hatte.
»Magst du den hier am liebsten?« Mitch zeigte mit dem Finger auf Zark.
»Na klar. Ich mag auch ›Three Faces‹, und ›Black Diamond‹ ist auch ganz nett, aber Commander Zark ist einfach spitze.«
»Finde ich auch.« Mitch zerraufte dem Jungen das Haar. Als er die Pizza heraufgebracht hatte, hätte er sich nicht träumen lassen, dass er hier die Inspiration finden würde, auf die er den ganzen Nachmittag vergeblich gewartet hatte.
»Du kannst es mal lesen, wenn du willst. Ich würde es dir ja leihen, aber …«
»Verstehe. Ein Sammlerstück verleiht man nicht.«
»Es wird noch dazu kommen, dass Radley und Sie sich gegenseitig Hefte ausleihen.« Hester stand auf, um die Teller abzuräumen.
»Das amüsiert Sie wohl, was?«
Auf seinen Tonfall hin warf sie ihm einen schnellen Blick zu. Sie konnte es nicht gerade Schärfe nennen, was sie darin zu hören geglaubt hatte, und seine Augen blickten immer noch klar und sanft, aber irgendetwas ermahnte sie, auf der Hut zu sein.
»Ich finde es nur ein wenig ungewöhnlich, dass ein erwachsener Mann eine Schwäche für Comics hat. Aber warum sollten Sie nicht ein solches Hobby haben.«
Er hob die Brauen. »Comics sind alles andere als ein Hobby für mich, Mrs Hester Wallace. Ich lese sie nicht nur, ich schreibe sie.«
»Wow! Wirklich?« Radley starrte Mitch an, als hätte er sich gerade in Superman verwandelt. »Ehrlich? O Mann, du bist Mitch Dempsey? Der richtige Mitch Dempsey?«
»In Fleisch und Blut.« Er zupfte Radley am Ohr, während Hester ihn ansah, als wäre er gerade von einem anderen Planeten gekommen.
»O Mann! Mitch Dempsey, Mom, das ist Commander Zark. Das glaubt mir kein Mensch. Kannst du das glauben, Mom? Commander Zark – hier, in unserer Küche!«
»Nein«, murmelte Hester und starrte Mitch weiter an. »Nein, das kann ich nicht glauben.«
2. K APITEL
Hester wünschte, sie hätte es sich erlauben können, feige zu sein. Am liebsten wäre sie nach Hause gelaufen und hätte sich die Bettdecke über die Ohren gezogen, bis Radley aus der Schule zurückgekommen wäre. Niemandem, der die beherrschte junge Frau im roten Mantel und mit wehendem weißen Schal beobachtet hätte, wäre der Gedanke gekommen, dass sich ihr der Magen vor Nervosität zusammenzog und ihre Handflächen feucht waren. Sie musste sich zusammennehmen, um sich nicht auf die Lippen zu beißen und so den Lippenstift zu ruinieren, während sie die letzten Meter zur Bank zurücklegte.
Nun fasste sie ihre Aktentasche fester. Als sie an diesem Morgen Radley zur Schule brachte, hatte sie ihm einzureden versucht, wie großartig und aufregend es sei, etwas Neues anzufangen. So ein Unsinn, sagte sie sich jetzt und hoffte nur, ihr Sohn habe nicht halb so viel Angst gehabt wie sie selbst in diesem Augenblick.
Obgleich sie sich immer wieder sagte, nach zwölfjähriger Erfahrung sei sie durchaus für ihre neue Position qualifiziert, wurde sie ihre Nervosität nicht los. Sie nahm all ihren Mut zusammen, atmete tief durch und betrat die Bank.
Laurence Rosen, der Manager der Bank, warf einen Blick auf seine Uhr, nickte zustimmend und kam auf Hester zu, um sie zu begrüßen. Sein dunkelblauer Anzug wirkte ordentlich und konservativ. Seine Schuhe waren
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