Liebesmaerchen in New York
einmal vorkam, dann tat es ihr immer hinterher leid. Und sie war hübsch. Radley lächelte. Ihm fielen die Augen zu, und er dachte, dass selbst Prinzessin Leilah nicht hübscher sein könne als sie. Obgleich Moms Haare braun waren anstatt golden und ihre Augen grau statt kobaltblau.
Sie hatte ihm versprochen, zum Abendbrot eine Pizza kommen zu lassen, um den Umzug in die neue Wohnung zu feiern, und Radley liebte Pizza. Fast so sehr wie Commander Zark.
Er schlief zufrieden lächelnd ein und rettete im Traum gemeinsam mit Zark das Universum.
Als Hester ein wenig später nach ihm sah, fand sie ihren Sohn schlafend auf dem Bett. In der Hand hielt er einen Comic, während seine übrigen Bücher immer noch im Umzugskarton lagen. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte sie sich vorgenommen, ihm nach dem Aufwachen eine milde Strafpredigt über Verantwortungsbewusstsein zu halten, aber an diesem Tag war ihr nicht danach zumute. Trotz der Stapel unausgepackter Kartons, die noch zu bewältigen waren, setzte sie sich zu ihm aufs Bett und betrachtete ihn.
Er ähnelte seinem Vater sehr. Das dunkelblonde Haar, die dunklen Augen, das markante Kinn. In letzter Zeit kam es nur noch selten vor, dass sie ihren Sohn ansah und dabei an den Mann dachte, mit dem sie einmal verheiratet gewesen war. Aber an diesem Tag war es anders. Dieser Tag war ein neuer Anfang für sie beide, und der neue Anfang erinnerte sie an die Vergangenheit.
Mehr als sechs Jahre ist es jetzt her, dachte sie und wunderte sich ein bisschen darüber, wie schnell die Zeit vergangen war. Radley hatte gerade angefangen zu laufen, als Allan sie verlassen hatte, weil er die vielen Rechnungen, seine Familie und insbesondere seine Frau sattgehabt hatte. Es hatte lange gedauert, bis sie ohne Schmerz daran zurückdenken konnte, aber sie würde Allan nie verzeihen, dass er es fertiggebracht hatte, seinen Sohn zu verlassen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
Glücklicherweise hatte zwischen Radley und seinem Vater keine enge Verbindung bestanden. Dennoch fragte sie sich manchmal, ob ihr Sohn nicht insgeheim unter der Trennung litt. Doch als sie ihn so betrachtete, hielt sie es kaum für möglich. Sie strich ihm übers Haar und sah durch das Fenster seines Schlafzimmers auf den Central Park. Radley war ein fröhliches, offenes und begabtes Kind. Um ihm innere Konflikte zu ersparen, hatte sie nie schlecht von seinem Vater gesprochen, obgleich es besonders in den letzten Jahren Zeiten gegeben hatte, in denen es ihr schwergefallen war, sich Bitterkeit und Zorn nicht anmerken zu lassen. Sie hatte versucht, ihm Mutter und Vater zugleich zu sein, und glaubte, dass ihr das im Großen und Ganzen auch gelungen war.
Sie hatte Bücher über Baseball gelesen, um mit Radley darüber reden zu können, hatte ihm das Radfahren beigebracht, und sie kannte natürlich auch Commander Zark. Hester lächelte und nahm ihm das Comicheft aus der Hand. Bisher war es ihr nicht gelungen, Commander Zark durch Dickens oder Twain abzulösen.
»Aber du hast ja noch viel Zeit«, murmelte sie, während sie sich neben ihrem Sohn ausstreckte, »Zeit genug für gute Bücher und das wirkliche Leben. O Radley, hoffentlich habe ich alles richtig gemacht.«
Sie schloss die Augen und wünschte, es gäbe jemanden, mit dem sie reden könnte, jemanden, der ihr hin und wieder einen Rat geben und bei Entscheidungen helfen würde.
Dann schlief auch sie ein.
Als Hester zerschlagen und von der neuen Umgebung verwirrt aufwachte, war es dämmrig geworden. Das Erste, was sie bemerkte, war, dass Radley nicht mehr neben ihr lag. Sogleich war sie hellwach. Sie spürte Panik in sich aufsteigen. Das war völlig unangebracht, weil sie wusste, dass Radley nie ohne ihre Erlaubnis die Wohnung verlassen würde. Er war zwar kein Kind, das blind gehorchte, respektierte aber die Regeln, die ihr am Herzen lagen. Sie stand auf, um nach ihm zu sehen.
»Hallo, Mom.« Radley war in der Küche und hielt ein Sandwich in der Hand, aus dem Erdnussbutter und Marmelade hervorquollen.
»Ich dachte, du wolltest Pizza essen«, sagte sie mit einem Blick auf einen Klecks heruntergetropfter Konfitüre.
»Will ich auch.« Er biss in sein Brot. »Aber ich brauchte unbedingt jetzt schon mal was vorweg.«
»Sprich nicht mit vollem Mund«, ermahnte Hester, wobei sie sich zu ihm hinunterbeugte, um ihn zu küssen. »Du hättest mich doch wecken können, wenn du Hunger hattest.«
»Ich kann mir schon alleine was machen. Nur die Gläser habe ich nicht
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