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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Fluß Muna?« fragte Semjonow. »Er fließt in die Lena, nicht wahr? Ist die Lena noch weit?«
    »Vielleicht vierzig Werst. Unser Dorf liegt an der Mündung.«
    »Und von dort kommt ihr jetzt?«
    »Ja.«
    Sie schwiegen wieder, rauchten und tranken Tee mit Wodka. Ludmilla saß nicht mit am Tisch. Sie saß auf der gemauerten Ofenbank, den Rücken gegen die warmen Steine gelehnt, die Hände über dem schweren Leib gefaltet. Kein Wort verstand sie, aber sie sah, wie der Raum zusammenschrumpfte, die Weite Sibiriens, und das ferne, ferne Deutschland, jenes Land, das sie schon auf der Schule hassen lernte und von dem man ihr gesagt hatte, es gebäre nur Männer, damit sie Rußland zerstörten, dieses schreckliche Land, das sie durch Pawluschas Liebe nun ebenfalls liebte, kam in die Hütte und war greifbar wie ein fester Gegenstand.
    Eine Woche blieben die drei bei Ludmilla und Semjonow. Es stellte sich heraus, daß sie alle zwei Jahre hierherkamen, um Gold aus der Muna zu waschen. Deshalb die vielen runden Siebe, die Semjonow gefunden hatte. In zwei Jahren hatte sich genug neues Geröll an den Inseln und vor der Landzunge angesammelt, goldhaltiger Sand, den die Muna aus den Weiten der gebirgigen Taiga mitbrachte, aus der Unendlichkeit des sibirischen Hochlandes, wo sie irgendwo entsprang und abwärts floß nach Norden, in den Schoß der gewaltigen Mutter Lena.
    »Hier haben wir schon Gold für zweitausend Rubel herausgeholt«, erzählte Willi Haffner. »Aber in diesem Jahr lohnt sich's nicht. Das sehe ich mit einem Blick. Alles schon gesiebter Sand. Wenn es in der Taiga wie aus Eimern regnet und die Flüsse werden wie wilde Stiere, dann bringen sie Goldsand mit herunter.«
    Nach einer Woche, wie gesagt, fuhren sie wieder ab. Semjonow brachte sie bis zum Boot, Ludmilla blieb im Haus. Der Schnee lag schon fußhoch, und am Fluß war das Ufer vereist und glatt. Es konnte schlimme Folgen haben, wenn sie jetzt hinfiel.
    »Wir schicken dir ein Motorboot, Pawel Konstantinowitsch«, sagte Egon Schliemann beim Abschied auf russisch. Nun, da sie zurückkehrten in ihr Dorf, waren sie wieder Menschen der Taiga. »Es wird Ludmilla nach Bulinskij bringen. Das ist die Stadt an der Mündung. Dort haben sie eine Krankenstation. Du wirst staunen, wie sie eingerichtet ist. Bisher hat sie ein alter Arzt geführt, aber seit vier Wochen lebt er im Ruhestand, der Gute. Ein Väterchen von fast achtzig Jahren ist er. Der neue Arzt aber – eine Frau ist es – soll ein Satan sein. Sie operiert wie in einer großen Klinik. Sie hat einer Freundin von Kurt, Olga, die linke Brust abgenommen, und die Frau läuft schon wieder durch das Dorf. Zu ihr, dieser Ärztin, bringen wir deine Ludmilla.«
    »Es ist noch nicht soweit, Freunde«, sagte Semjonow und küßte zum Abschied nach russischer Sitte alle auf beide Wangen. »Habt Dank für alles. Aber ihr wißt ja, daß man uns nicht sehen darf.«
    »Die Ärztin wird verschwiegen sein. Sie ist eine Verbannte und hat ein Herz für uns.«
    »Trotzdem, Brüderchen.« Semjonow stieß den Kahn ab und winkte. »In vier Wochen wird das Kindchen kommen. Seht es euch an …«
    »Wir kommen in drei Wochen mit dem Motorboot!« schrie Egon Schliemann durch Wind und Strömung. »Ich werde mit der Ärztin sprechen! Leb wohl und Gottes Segen, Pawel!«
    »Gottes Segen, Freunde!«
    Das Boot schoß mit der Strömung abwärts, einem Pfeil gleich, den man ins Wasser geschossen hat. Es tanzte zwischen den Inseln hindurch und löste sich als dünner Strich zwischen Fluß und Himmel auf.
    Zwei Wochen später, mitten in der Nacht, wachte Semjonow von einem Stöhnen auf. Ludmilla saß auf einem Hocker am Tisch und krümmte sich vor Schmerzen.
    »Ludmilluschka!« schrie Semjonow und sprang aus der Bettkiste. »Was hast du …«
    »Es ist soweit, Pawluscha. Die Wehen.« Sie krümmte sich und stöhnte, es klang hohl und dumpf, als presse sich ihre Kehle zusammen.
    Semjonow rannte im Zimmer umher, holte die Lampen, entfachte auf dem Herd das Feuer, schob dicke Kloben in den Ofen und legte Tücher auf die heißen Steine, damit sie durchgewärmt wurden.
    Vor der Hütte heulte der Wind und trieb den Schnee in dichten Schleiern gegen den Wald. Der Fluß war zugefroren. Semjonow hatte jeden Tag zwei Fischlöcher aufgehackt und offengehalten, durch die er die Netze zog, oder er legte sich nach Eskimoart auf den Bauch, spähte in das klare Wasser und stieß mit einem Speer zu, wenn ein großer Fisch am Loch vorbeischwamm. Ganz einfach war das.

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