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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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trinken, und der ätzende Schnaps aus seinen Mundwinkeln tropfte und in den Pelzkragen lief. Von da ab saß Semjonow die letzte Stunde still neben Schliemann, sah auf die im Schnee erstarrten Wälder und blickte den Schneehühnern nach, die am Ufer aus dem eisknirschenden Schilf flatterten. Den letzten Teil der Fahrt verbrachte er lallend, hockte im Windschatten zu Schliemanns Füßen und schrie nur ab und zu auf, als steche ihn jemand mit einem Messer in die Seiten. Das waren die Augenblicke, in denen sein Hirn plötzlich wieder klar dachte und der Gedanke an Ludmilla durch seinen Körper zuckte wie eine Flamme.
    Das Dorf Nowo Bulinskij liegt an der Mündung der Muna in die Lena, dort, wo der gewaltige Strom viele Inseln bildet und die unberührte Taiga bis an die Ufer reicht. Wer nicht genau hinsieht, fährt an Nowo Bulinskij ahnungslos vorbei, vor allem im Winter, wenn Wald, Uferstreifen und Fluß wie in Watte gepackt sind und nur drei Silos, ein Wasserturm, ein hoher Schornstein und ein schlankes Türmchen mit einer Zwiebelkuppel aus dem welligen Schneefeld ragen wie weggeworfenes Riesenspielzeug.
    Wie meistens in kleinen russischen Städten, die sich ein eigenes Hospital oder auch nur eine Krankenstation leisten können, lag auch das Krankenhaus von Nowo Bulinskij außerhalb des Ortes an der Lena.
    Der Schlitten auf der Lena fuhr etwas langsamer. Kurz vor dem Krankenhaus zog Schliemann an einer kreischenden Sirene. Dreimal kurz … Dann wußten sie im Krankenhaus, daß ein eiliger Fall über den Strom herankam. Borja, der Krankenpfleger, wusch sich dann die Hände, nahm noch einen tiefen Schluck – er soff Samogonka, einen milchigen Knollenschnaps, nach dem man drei Tage elend ist, wenn man's nicht kennt! – und sagte: »So Gott es will!« Dann rollte er das einzige fahrbare Bett zum Eingang.
    Semjonow erlebte das Anlegen des Eisschlittens im Nebel der Trunkenheit. Doch dann packte ihn jemand, schleifte ihn an Land, warf ihm einige Hände voll Schnee ins Gesicht und schrie ihn an. Man schüttelte ihn, und als er um sich starrte wie ein geblendeter Ochse, rieb man ihm wieder Schnee übers Gesicht und behandelte ihn recht unfein, indem man ihn mit aller Kraft in den Hintern trat.
    Aber es tat gut, Brüderchen! Der Wodkanebel lichtete sich wie im Frühlingssonnenstrahl, und dann sah Semjonow mit erschreckend klaren Augen Ludmilla. Auf einer Tragbahre lag sie; Schliemann und Wancke trugen sie vom Schlitten an Land. Das große Tor im Bretterzaun, der das Krankenhaus umgab, war geöffnet, und dahinter sah er das langgestreckte, im rechten Winkel angelegte Gebäude, die glitzernde Fensterreihe, die geöffnete Eingangstür, in der der Krankenpfleger Borja stand und sich die Nase putzte.
    »Sie ist tot!« stöhnte Semjonow, grub die Hände in den Schnee und rieb sich das Gesicht, als wolle er sich die Haut abschaben. Dann lief er neben der Trage her, und sein Jammern war außer dem Knirschen der Schritte im Schnee der einzige Laut in der Stille. »Ihr seht es doch, Brüderchen!« rief er immer wieder und streichelte Ludmillas Kopf. »Tot ist sie! Tot! Wer von euch bringt mich um? Ich flehe euch an … erschlagt mich! Ich habe sie getötet, meine Ludmilluschka …« Und als alle schwiegen und stumm zum Hospital eilten, blieb er stehen und warf beide Arme hoch in die eisige Luft.
    »Ich werde mich stellen!« brüllte Semjonow. »Zum nächsten Politruk werde ich gehen und sagen: ›Hier bin ich! Ich bin Franz Heller, der deutsche Spion!‹«
    »Jetzt dreht er völlig durch«, sagte Schliemann, der unter der Last der Trage keuchte und von einer Atemwolke umgeben war, die in der Kälte fast zu einer Wand erstarrte. Er nickte Haffner zu, der neben ihm ging. »Mach, daß er die Fresse hält, Willi. Morgen wird er sich selbst an die Stirn tippen und ›blöder Hund‹ zu sich sagen.«
    Es gab einen kurzen Laut, wie das Klatschen eines nassen Lappens auf einen nackten Rücken, als Haffner mit seinen dicken Fellhandschuhen Semjonow gegen das Kinn schlug. Semjonow schwankte, hustete ein paarmal, sah blöde um sich und fiel dann steif in den Schnee, wie ein Bäumchen, das mit einem einzigen Hieb von der Wurzel getrennt wird.
    In der Tür stand Borja mit dem fahrbaren Bett und winkte den durch den festgestampften Schnee rennenden Männern zu.
    »Alles bereit, Genossen!« rief er. »Die Genossin Ärztin wartet schon. Ganz schön kalt, Genossen, was?«
    »Laß uns in Ruhe mit deinen Genossen!« schrie Schliemann. Sie setzten die

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