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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schaute sie der Semjonowa ins Gesicht, lächelte, ging zur Tür und winkte Borja und die anderen herein. »Nehmt ihn mit«, sagte sie und zeigte auf den schnarchenden Wancke. »Laßt ihn schlafen, und wenn er aufwacht, gebt ihm rohes Fleisch und rohe Leber vom Ren, gesüßte Sahne und zartgekochten Fisch. Wo ist übrigens das Kind?«
    »Es liegt bei Semjonow im Zimmer.« Schliemann und Borja faßten Wancke unter den Achseln und schleppten ihn hinaus auf den Gang.
    Die Kirstaskaja schob die Unterlippe vor. »Wieso im Zimmer? Ist Semjonow auch krank?«
    »Besoffen ist er!« Willi Haffner faßte Wanckes Beine. »Hau ruck!« kommandierte er, und sie hoben den schweren Körper auf das rollende Bett. »Wir haben ihn mit dem Kind auf Zimmer zwanzig geschafft. Dort sitzt er jetzt und will sich umbringen, wenn seine Ludmilla stirbt.« Haffner ließ die Beine Wanckes los und sah die Ärztin bittend an. »Wird sie sterben?« fragte er ganz leise.
    Die Kirstaskaja antwortete nicht. Sie ging mit vorgestrecktem Kopf an den Männern vorbei, riß die Tür zu Zimmer zwanzig auf und schlug sie hinter sich zu.
    »Au Backe!« sagte Schliemann auf deutsch. »Die ist in Fahrt. Möchte wissen, was sie gegen Semjonow hat. Sie kennt ihn doch noch gar nicht …«
    Semjonow saß im Zimmer auf dem Bett, das schlafende Kind hinter sich, und starrte auf die Dielen. Er hob den Kopf nicht, als er die Tür zuschlagen hörte, sondern senkte sein Gesicht noch tiefer über die gefalteten Hände. Die Trunkenheit war aus ihm gewichen, aber sein Körper atmete den Schnaps aus. Es roch nicht gut in dem kleinen Zimmer.
    »Sag nichts!« sagte Semjonow, als von der Tür her kein Wort fiel. »Sie ist tot. Ich weiß es. Ich habe sie doch gesehen. So sieht kein Mensch aus, der weiterleben kann …«
    Die Kirstaskaja schwieg noch immer. Sie starrte auf das kleine Bündel aus Rentierfellen, aus dem ein rundes Gesichtchen wie ein weißer Knopf hervorstach. Dann sah sie, wie die Hände Semjonows zitterten, und kein Schüttelfrost konnte stärker sein als das Zucken in seinem Körper.
    »Das war einmal der von Moskau so gefürchtete Semjonow!« sagte sie dunkel und lehnte sich gegen die Tür. »So müßte Karpuschin ihn sehen … eine bebende Memme, die wie ein hungriger Wolf den Mond anheult! Hat der Mond je geholfen, he? Hat man mit Klagen das Schicksal besiegt? Du solltest dich in die Erde schämen, Pawel Konstantinowitsch.«
    Semjonows Kopf zuckte hoch. Seine Hände fielen auf das Bett und krallten sich in die Wolldecken.
    »Sie!« sagte er dumpf. »Sie sind hier! Ich gebe es auf!«
    »Was gibst du auf?«
    »Alles, alles! Auch Rußland ist nicht groß genug für zwei Menschen, die nur miteinander leben wollen, nur leben, weiter nichts! Wo wir auch hinkamen … nirgendwo war das Paradies, selbst nicht in der Hölle der Taiga! Das klingt absurd, nicht wahr? Aber ich dachte mir: Was anderen die Hölle ist, kann für uns das Paradies werden. Welch ein Irrtum, Katharina Kirstaskaja. Überall sind Menschen … und wo sie sind, gibt es kein Paradies mehr! Und nun sind Sie hier – und ich bin am Ende.«
    »Du bist ein Rindvieh, Pawel Konstantinowitsch.«
    Semjonow nickte. »Ich weiß es, Genossin Kirstaskaja. Ich war es schon, als ich dachte, ich könnte einem Karpuschin davonlaufen. Jetzt resigniere ich. Sehen Sie es? Ich wehre mich nicht mehr. Verständigen Sie die Gendarmerie, rufen Sie Karpuschin, ich gehe mit wie ein Lamm zur Schlachtbank. Nur eine Bitte habe ich, eine letzte Bitte: Lassen Sie Ludmilla und das Kind in Ruhe. Lassen Sie …« Er stockte und wischte sich über die Augen. »Wer … wer wird mein Kind großziehen?« fragte er heiser. »Es kommt in ein staatliches Kinderheim, nicht wahr? Und es wird nie erfahren, wer seine Eltern waren …«
    »Was redest du für Unsinn!« Die Kirstaskaja holte aus ihrer Kleidertasche unter der hellgelben Gummischürze eine flache Schachtel hervor, nahm sich eine Papyrossa heraus und warf die Schachtel dann Semjonow zu. Jetzt erst sah Semjonow, daß die Kirstaskaja eine blutbespritzte Gummischürze trug, und er wußte, daß es Ludmillas Blut war. Er ließ die Schachtel fallen und seufzte tief.
    »Hat … hat sie sehr gelitten?« fragte er mühsam.
    »Wer?«
    Semjonow starrte die Ärztin wie ein Geblendeter an.
    »Kann … kann ich Ludmilluschka sehen?«
    »Aber ja. Sie liegt noch auf dem OP-Tisch, aber sie schläft und bekommt langsam rote Bäckchen …«
    »Katharina Kirstaskaja!« brüllte Semjonow und spreizte die

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