Liebesnächte in der Taiga
ein polierter Messingknopf.
»Wie schön das Leben ist«, sagte sie leise und legte den Kopf gegen die Brust Semjonows. »Sei ehrlich, Pawluscha … war ich schon gestorben?«
»Fast, Ludmilluschka.«
»Und was hast du getan?«
»Ich wollte auch nicht mehr weiterleben.«
»So lieb hast du mich, Pawluscha?«
»Es gibt kein Wort für meine Liebe, Ludmilluschka.« Semjonow legte den Arm schützend um ihren Leib. »Frierst du auch nicht?«
»Nein, o nein … du bist so warm.« Sie hob die Arme und schlang sie um seinen Hals. Einen Morgenrock aus tatarischer Seide trug sie, bestickt mit Sternen und Sonnen. Die Kirstaskaja hatte ihn ihr gegeben. Er war noch aus Irkutsk, aus der schönen Zeit ihrer ersten Liebe. Sie hatte ihn getragen, als sie zum erstenmal einen Mann empfing, und damals hatten sogar die gestickten Sonnen um sie geleuchtet.
»Wie soll das Kindchen heißen, Pawluscha?« fragte Ludmilla. Auf der Lena erschienen jetzt sieben flache Schlitten. Sie hielten an den offengehaltenen Eislöchern. Junge Burschen in Rentierkleidern und dicken Mänteln aus schwarzen Hundefellen knieten an den Löchern nieder, hielten den Fünfzack in den Fäusten und stießen blitzschnell zu, wenn sie einen großen Fisch erspähten. Meistens waren es Störe, die sie auf das Eis warfen, oder Sterlets, einen Meter lang und zehn Kilo schwer.
»Wie es heißen soll? Nennen wir es Ludmilla. Gibt es einen schöneren Namen?«
»Ich möchte es Nadja nennen«, sagte sie leise.
»Wenn du willst. Nennen wir es Nadja. Aber warum Nadja?«
Ludmilla schwieg. Ihr noch immer blasses und durchsichtiges Gesicht hob sich zu Semjonow empor.
»Nicht böse sein, Pawluscha …«
»Was du redest, Ludmilluschka …«
»Nadja hieß meine Schwester«, sagte sie kaum hörbar. »Von den Deutschen wurde sie verschleppt … Sie kam nie wieder … Darum soll unser Kindchen Nadja heißen …«
Matweij Nikiforowitsch Karpuschin gab sich keinen Illusionen hin. Wer den Befehl bekommt, mit allem Gepäck nach Moskau zurückzukehren, der kann ohne Hemmungen den Sarghändler verständigen, ein möglichst schönes Kistchen für ihn bereitzuhalten, mit Bronzegriffen und geschweiften Füßen, wie es einem General der Roten Armee zusteht. Und weil Karpuschin im tiefsten Innern ein Patriot war, dachte er sogar daran, den Sarg mit einer roten Fahne bedecken zu lassen, und zwar so, daß Hammer und Sichel über seinem Kopf lagen, der immer nur an die Nation gedacht und sie glühend geliebt hatte.
Olga Jelisaweta, Karpuschins armes Weibchen, weinte zwei lange Tage und Nächte über diese Tragödie, denn so lange dauerte es, bis Karpuschin alles Gepäck zusammen hatte. Dann flog er von Jakutsk nach Moskau. Olga Jelisaweta begleitete ihn, die im Herzen den Plan ausbrütete, sich vor dem Genossen Chruschtschow selbst auf die Knie zu werfen und um das Leben ihres geliebten Matweij Nikiforowitsch zu flehen. Ob das möglich war, wußte sie nicht, aber versuchen wollte sie es jedenfalls.
Zunächst allerdings ging Karpuschin allein in den Kreml. Er verabschiedete sich von Olga Jelisaweta, küßte sie auf den Mund, was er seit nachweislich zehn Jahren nicht mehr getan hatte, und Olga schluchzte auf, denn dieser Kuß bewies ihr, daß Karpuschin nicht mehr an eine Rückkehr glaubte.
Durch das Spasski Warota, das Spasski-Tor mit dem Glockenspiel, das genau um Mitternacht mit fünfundzwanzig Glocken die sowjetische Nationalhymne spielte, die jede Nacht von Radio Moskau in alle Welt übertragen wird, betrat Karpuschin den Kreml, zeigte der Wache seinen Ausweis, erlebte das beschämende Schauspiel, daß man sein Kommen telefonisch seinem Widersacher General Chimkassy meldete, und wurde dann von einem jungen Leutnant in Empfang genommen. Lebt wohl alle, die ich liebte, dachte Karpuschin wehmütig und sah empor zum Glockenspiel des Erlösertores. Vielleicht bringt man mich am Nikolski-Tor wieder hinaus. Heimlich, aus einer eisernen Seitentür, in der Nacht. Leb wohl, geliebtes Moskau. Und die Hölle über Pawel Konstantinowitsch Semjonow!
Marschall Malinowskij war freundlicher als sonst, als Karpuschin das große Arbeitszimmer betrat, ja, er kam Karpuschin sogar entgegen und begrüßte ihn wie einen alten Freund. Das erschreckte Matweij Nikiforowitsch maßlos, denn wo so viel Sonne scheint, ist ebensoviel Schatten.
»Ich habe mir alles genau überlegt, und der Genosse Ministerpräsident ist mit mir einer Ansicht, daß wir etwas ganz anderes machen müssen«, sagte Marschall
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