Liebesnächte in der Taiga
immer wieder. Dummer Hexenzauber. Blödes Geschwätz. Man hätte sie damals wegbringen sollen, diese murmelnde Alte. Auch das habe ich versäumt, zum Teufel!
Es wird einer kommen und dir das Licht ausblasen, hatte sie gesagt.
Semjonow? Malinowskij? Ein Beauftragter des Kreml?
Am nächsten Tag flog Karpuschin zurück nach Krasnojarsk und von dort nach Oleneksskaja Kultbasa. Er brachte eine fatalistische Lebensauffassung mit. Amtlich bin ich tot, Olgaschka hat einen Geliebten. Mein Lebenslicht beginnt zu flackern. Verdammt noch mal … es muß ein anderes Leben werden, auch wenn ich Schminke und Parfüm nicht ausstehen kann …
Als Karpuschin auf dem neuen Flugplatz Kultbasa landete, hatte er beschlossen, als Abschluß seines Lebens Marfa Babkinskaja, das hübsche schwarze Vögelchen, zu seiner Geliebten zu machen und dann in ihren Armen auf sein Ende zu warten.
In der Nacht wachte Semjonow durch ein leises Rütteln an seiner Schulter auf. Nebenan schnarchte Illarion wie ein betäubter Elefant. Beim Einatmen pfiff er, und beim Ausatmen bebten die Deckenbretter.
»Sie schlafen alle«, sagte eine Frauenstimme dicht an seinem Ohr, und Semjonow wußte, daß es Marfa war, eine der sechs Frauen. »Sie fühlen sich sicher. Bist du stark genug, um zu gehen?«
»Wenn jemand um sein Leben läuft, spürt er keine Muskeln und keinen Atem mehr.« Semjonow merkte, wie die Lederfesseln nachgaben. Er richtete sich auf, massierte die Beine und die Handgelenke, tastete dann in der Dunkelheit um sich, berührte einen weichen, warmen Arm, eine pralle Brust, einen nackten Hals, wurde an den Händen ergriffen und emporgezogen.
»Ich führe dich«, flüsterte Marfa. »Illarion schläft, aber draußen sind Hunde. Sie dürfen nicht bellen. Nimm die Schneeschuhe von Illarion, zieh seinen Pelz an, dann riechen sie Illarion und schweigen. Komm, mach schnell …«
Sie zog Semjonow in die große Stube. Auf Zehenspitzen schlichen sie am Ofen vorbei, auf dem Illarion lag und Wälder zersägte, gelangten in den Vorraum, wo die Schneeschuhe standen und die Pelze an den Nägeln hingen.
Semjonow zog eins der dicken Bärenfelle über, drückte die tungusischen Schneeschuhe an die Brust und trat hinaus ins Freie. Die Kälte warf sich ihm entgegen, und sein Atem gefror sofort zu raschelnden Kristallen. Im ungewissen Licht eines schwachen Mondes sah er nun Marfa. Sie trug über ihrem blauen Leinenkleid einen Wolfspelz und ein Tuch aus dicker Wolle um den Kopf.
»Geh«, sagte sie scharf, als Semjonow zögerte. »Du hast noch einen weiten Weg …«
»Willst du nicht mitkommen? Illarion hat mir gesagt, du seiest – ebenso wie die anderen Frauen – geraubt worden.«
Marfa nickte. »Das ist lange her. Wir haben vergessen, was früher war. Nun haben wir Kinder. Kann ich sie zurücklassen, sag ehrlich?«
Semjonow schüttelte den Kopf. Er schnallte die Schneeschuhe an, drückte die Pelzkappe tief ins Gesicht und gab Marfa die Hand. »Wenn du jemals nach Nowo Bulinskij kommst, frag nach Semjonow. Du bist immer zu Hause bei mir.«
»Semjonow. Ich werde es behalten.« Marfa zog den Pelz um sich. »Leb wohl …« Aber dann ging sie doch noch neben ihm her durch den Schnee bis zu den Palisaden, vorbei an den Hunden, die in ihren offenen Ställen lagen, die Köpfe hoben, schnupperten und weiterschliefen, als sie den vertrauten Geruch aufnahmen. Am Palisadentor blieb Marfa dann stehen und sah Semjonow aus ihren tiefliegenden blauen Augen traurig an.
»Neunzehn Kinder leben hier … Sie sind unschuldig. Vergiß das nicht, Semjonow … und verrate uns nicht. Und nun geh …«
Semjonow beugte sich vor. Er nahm die Schneestöcke in die Fäuste und stieß sich ab. Lautlos glitt er in die Dunkelheit und den Wald hinein. Er sah sich nicht um, sondern lief und lief und keuchte die Hügel hinauf und glitt die Senken hinunter und starrte den Mond an und die vereinzelten glimmenden Sterne und rechnete sich aus, wo die Lena fließen mußte und Nowo Bulinskij unter der Schneedecke träumte.
Vier Stunden – so meinte er – lief er schon, mit kurzen Atempausen, in denen er sich gegen die vereisten Stämme lehnte und die Fäuste auf das hämmernde Herz preßte, als er von weit her das Wiehern von Pferden und das helle Knirschen von stählernen Schlittenkufen hörte.
Menschen! Menschen! Menschen!
»Hierher!« brüllte Semjonow und hieb mit den Schneestöcken gegen einen dicken Stamm. Es dröhnte wie eine Trommel. »Kommt hierher! Hier ist ein Mensch! Hilfe! Hilfe!
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