Liebesnächte in der Taiga
beschäftigt. Jeder Offizier der Garnison Jakutsk wußte das.
Auf den Straßen patrouillierten Milizgruppen. Alle Spaziergänger in den Kulturparks wurden verhaftet und verhört. Auch zu Schliemann kam man und nahm ihn mit aus seiner Herberge auf die Milizstation III. Hier erst erfuhr er, was geschehen war, und er betete im stillen, daß Semjonow die Flucht aus der Stadt gelungen sei.
Karpuschin lächelte böse, als von allen Seiten die Meldungen kamen.
Die Straßen waren gesperrt.
Die Stadt wurde systematisch durchsucht.
Seit einer Stunde druckten die Maschinen der Jakutskaja Prawda das Bild Semjonows. In Zehntausenden Exemplaren wurde sein Steckbrief verteilt. Schon waren vierzehn Verdächtige verhaftet worden. Aber sie leugneten, Semjonow zu sein.
»Alle Verhafteten zu mir!« befahl Karpuschin. »Ist Semjonow dabei, wird er sprechen lernen! Meine Herren!« Er sah zu den Offizieren und Kommissaren, die im ganzen Zimmer wie Lakaien an den Wänden standen. »Er ist in der Stadt! Und er wird nicht wieder entkommen! Nicht ein Floh wird durch Jakutsk hüpfen, ohne daß man ihn sieht! Es ist jetzt nur noch eine Frage von Stunden.«
Ein heißes Gefühl von Jubel und Triumph erfüllte ihn. Der Zufall, dachte er. Wieder der Zufall, der große Helfer. Nun wird sich auch mein Leben ändern. Mit Semjonows Vernichtung wird auch Karpuschin wieder auferstehen.
Er griff zum Telefon und wählte die Nummer der chinesischen Handelsdelegation. Seine Stimme war knapp und militärisch hell, als er sprach.
»Hier Karpuschin! Nein, Ihre Nachricht interessiert mich nicht mehr! Es hat sich alles erledigt. Verstehen Sie? Erledigt! Ich verzichte! Frieden für die Sowjetunion!«
Dann legte er den Hörer wieder auf, und er war stolz, den Chinesen so etwas sagen zu können.
Peking, dachte er. Ich hätte mich in Peking nie wohl gefühlt. Wie habe ich nur diesen wahnwitzigen Gedanken haben können?
Semjonow ist in der Stadt!
Ehe die Dunkelheit hereinbrach, würde er hier vor dem Tisch stehen, und es würde Karpuschins glücklichste Minute sein.
Zu dieser Stunde waren bereits dreiundzwanzig Männer verhaftet, die Semjonow ähnlich sahen. Sie warteten in einem Nebenraum, und Marfa Babkinskaja bereitete sich darauf vor, alle anzusehen und Pawel Konstantinowitsch Semjonow zu identifizieren.
17
Arme, bedauernswerte Männer waren es, die da an den Wänden standen, von Milizsoldaten bewacht. Ein paar von ihnen bluteten aus Nase und Mund, dem einen quoll das Gesicht auf wie ein Hefekuchen, und einem anderen troff Speichel aus den Mundwinkeln, vor lauter ohnmächtiger Angst.
»Wer von euch ist Semjonow?« fragte Karpuschin knapp, als er mitten im Zimmer stand und sich die dreiundzwanzig verhafteten Männer ansah. Tatsächlich, sie glichen sich alle, sie hätten Brüder sein können, Söhne einer unheimlich fruchtbaren Mutter. Nur kleine Abweichungen gab es in der Haarfarbe, in der Größe, in der Gesichtsform … aber alle sahen aus wie Semjonow oder wenigstens so wie sein gezeichnetes Steckbriefbild. »Wenn Sie kein Feigling sind, Heller, so treten Sie vor«, sagte Karpuschin laut, und da er Sie sagte, bewies er, wie hoch im Inneren seine Achtung vor dem Mann war, den er bisher vergeblich gejagt hatte.
Die dreiundzwanzig Verhafteten glotzten Karpuschin an und schwiegen. Sie verstanden gar nicht, was man von ihnen wollte. Da stand ein mittelgroßer, dicklicher, dunkelbärtiger, grober Kerl in der Mitte des Zimmers und rief einen Namen, den niemand kannte. War man in einem Irrenhaus, he? Und das Weibsstück da! Sie stierte um sich und machte ein ganz verzweifeltes Gesicht.
»Keiner?« fragte Karpuschin leise. Er lächelte böse und legte die Hände auf den Rücken. »Brüderchen«, sagte er fast milde, »es ist traurig, wie selten Ehrlichkeit anzutreffen ist! Einer von euch ist Semjonow! Sollen wir ein kleines Spielchen machen? Jeder kommt einzeln zu mir in den Nebenraum, und ich gebe ihm Gesangsunterricht. Wollen wir wetten, daß der richtige Semjonow schnell ermittelt ist?« Karpuschin schüttelte wie wehmütig den dicken Kopf. »Warum diese Schwierigkeiten, Genossen? Heller, melden Sie sich! Seien Sie kein ekelhafter Feigling! Sie haben es nicht nötig!«
Karpuschin wartete. Die dreiundzwanzig Männer glotzten dumm und verständnislos. Marfa rang nervös die Hände und betrachtete immer wieder die zerschlagenen und blutverschmierten Gesichter. Wer ist es, dachte sie. O Himmel, ich könnte sagen der … oder der … oder jener … Und
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