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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schwenkte seinen Kwasskrug. »Lebenslängliche! Sie bekommen keine Post und dürfen auch nicht schreiben! Sie sind lebendig tot …«
    In den nächsten Tagen geschahen merkwürdige Dinge.
    Bald hatte man erfahren, daß die deutschen Lebenslänglichen zur Waldrodung eingesetzt werden sollten. Das war im Sommer eine gute Arbeit, aber was sie im Winter machen sollten, war allen ein Rätsel. Kaufmann Schamow war übrigens der erste, der das Lager betreten durfte. Major Kraswenkow ließ ihn kommen mit einem Glas marinierter Heringe und einem geräucherten Bärenschinken. Schamow zog seinen besten Anzug an und fuhr zum Lager wie zu einer Opernaufführung.
    »Ein schönes Lager ist's«, berichtete er später in der Stolowaja. »Sie haben eine ganz moderne Küche, in der Kommandanturbaracke ein Krankenrevier mit zehn Betten, im Magazin lagern zweihundert Fässer Sauerkohl und dreißig Sack Graupen, und der Genosse Major ist ein feiner Mann. Er hat mir einen Rubel extra gegeben. Ich frage euch – welcher Offizier macht so etwas?«
    Von diesem Tag an wurde das Lager der Lebenslänglichen scharf beobachtet. Man stellte fest, wann die Holzschlagkommandos ausmarschierten, wo sie rodeten, wie die Wachmannschaften waren, wann die Ablösungen kamen. Es zeigte sich, daß die Bewachung großzügig war. Hatte man den Arbeitsplatz erreicht, legten sich die Rotarmisten ins Gras und lasen, rauchten oder schliefen. Wer dachte an Flucht? Von der Lena bis nach Deutschland – Genosse, dann sag auch schon: bis zum Mond! Wer zwanzig Jahre durch Rußland gezogen ist, dem fehlt das Mark in den Knochen, sich auf eine Wanderung in eine andere Welt zu begeben.
    Als man das alles erkundet hatte, setzte die Hilfe ein.
    Jeden Tag fanden jetzt die Lebenslänglichen an ihren Arbeitsplätzen seltsame Dinge. Unter Baumstämmen, im Gras, an die Äste gebunden, in dem gestapelten Holz fanden sie Päckchen mit Tabak, Speckstreifen und Räucherfleisch, Wurst und Beutelchen mit kandierten Früchten, frisch gebratenes Ferkelfleisch und Schmalz, Butter und gekochte Eier, Pudding und einmal sogar Kaviar.
    »Etwas Ungeheuerliches geschieht hier, Genosse Major!« meldete nach einer Woche der junge Leutnant. »Bei der Kontrolle von Block II entdeckte ich Schweinebraten und Schinken. In den Betten hatten sie es versteckt! Ich werde bis heute abend wissen, woher diese Dinge kommen!«
    Major Kraswenkow winkte ab. Er saß vor einem Transistorradio, hatte Radio Irkutsk eingeschaltet und lauschte auf die Klänge eines Tschaikowskij-Konzertes.
    »Ist das so wichtig, Leutnant?« fragte er.
    »Sabotage ist es, Genosse Major! Es sind Verbrecher!«
    »Aber sie haben Hunger. Haben Sie schon einmal Hunger gehabt, Stepan Maximowitsch?«
    »Nein, Genosse Major.«
    »Aber ich! In den Wolchowsümpfen. Acht Tage habe ich gehungert und schließlich fauliges Wasser und Gras gefressen. Es schmeckte wie Zunge in Madeira. Damals lagen Sie noch in den Windeln und saugten an der mütterlichen Brust, Stepan Maximowitsch. Was haben Sie davon, wenn Sie wissen, woher die heimlichen Köstlichkeiten kommen?«
    »Vergessen wir nicht, daß es Feinde sind!« rief der junge Leutnant.
    »O nein, vergessen wir es nicht.« Major Kraswenkow schob seine Beinprothese etwas zur Seite, er saß unbequem. Im Radio begann das Adagio. »Gehen Sie von mir aus hin und untersuchen Sie den Fall. Ganz gefährliche Feinde sind es … Man sieht es ihnen schon von weitem an …«
    Leutnant Stepan Maximowitsch grüßte und verließ die Kommandantur. Draußen, in der Sonne, blieb er an der Tür stehen und sah hinüber zu den drei Baracken der Deutschen. Der Lagerdienst fegte die Barackengassen. Vor der Küchenbaracke saßen die Küchendienstler und verlasen frischen Weißkohl. Sie hatten die Jacken und Hemden ausgezogen, und die Sonne brannte auf ihre gelbweißen, knochigen Rücken und Brüste und auf die kahlgeschorenen Köpfe.
    Stepan Maximowitsch schob die Unterlippe vor und wandte sich ab. Die peinliche Untersuchung fand nie statt. Aber jeden Abend verteilten die Holzkommandos die gefundenen Dinge, und durch die Baracken zog ein Hauch stiller Glückseligkeit.
    »Das schmeckt wie bei Muttern«, sagte jemand, als er an einem Stück Rinderbraten kaute.
    Und zwanzig Jahre waren plötzlich wie ein Tag.
    An einem Vormittag tauchte unvermutet Karpuschin im Lager auf. Schamow, der wieder privat an Major Kraswenkow geliefert hatte, brachte die Neuigkeit mit. Die Kirstaskaja überlegte nicht lange. Sie ging hinüber zu

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