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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hochgewachsener, schlanker Mann mit kurzen blonden Haaren. Er trug über einer alten, ausgebleichten und geflickten hellgrauen Offiziersuniform eine lange braune Gummischürze. Sie glänzte vor Nässe. Man hatte sie eben erst mit einer Desinfektionslösung abgerieben.
    »Ist die russische Ärztin hier?« rief der Mann in der Gummischürze. Hinter ihm kam ein zweiter Mann in abgetragener grauer deutscher Offiziersuniform aus dem Zimmer. Weißhaarig, ein wenig nach vorn gebeugt, mit eingefallenem Mund.
    »Da haben wir sie alle, die Prominenz des Lagers!« sagte Major Kraswenkow laut. »Zuerst Dr. Langgässer, dahinter Hauptmann Rhoderich, der deutsche Lagerkommandant. Keine Aufregung, meine Herren, da ist die Ärztin!«
    Dann standen sich Dr. Langgässer, der blonde, dürre Lagerarzt der deutschen Lebenslänglichen, und Dr. Katharina Kirstaskaja gegenüber. Und als sie sich stumm ansahen und dann die Hand gaben, kam etwas Merkwürdiges über die Kirstaskaja. Es war ihr, als zöge jemand einen Schleier von ihren Augen, der bisher den Blick getrübt und die Welt in ein einförmiges Grau gehüllt hatte. Nun leuchtete die Sonne glänzender, das Grün der Bäume war wie frisch lackiert, über den Gesichtern lag ein fremder Schimmer; so merkwürdig war es, daß die Kirstaskaja zwei Schritte zurücktrat, ans Flurfenster ging und hinaussah. Der Himmel wölbte sich wie ein blaues, goldbespritztes Dach über der Taiga. Die Bäume leuchteten, als brenne von innen heraus ein starkes Licht.
    »Wo ist der Verletzte?« fragte die Kirstaskaja rauh. Sie ging an Dr. Langgässer vorbei in das Zimmer. Der Raum bestand aus zwei Zimmern, von denen man die Zwischenwand herausgenommen hatte. So war eine Art Behandlungs- und Operationssaal entstanden, dessen Wände man sogar weiß gestrichen hatte. Auch die Bodendielen waren lackiert.
    Mitten in dem großen Zimmer stand ein Holztisch, an den man Lederriemen genagelt hatte. Ein nackter Mann lag darauf, an den Armen und einem Bein bereits festgeschnallt. Ein magerer, graugelber Körper.
    Das linke Bein war abgequetscht und völlig deformiert. Mit einem Knebelverband hatte man die gerissene Schlagader abgebunden, aber trotz der Dürre des Oberschenkels war die Blutung nicht zum Stillstand gekommen … Immer noch tropfte es auf die Wachstuchunterlage, die man unter das zertrümmerte Bein geschoben hatte.
    »Ich habe keine Arterienklemmen«, sagte Dr. Langgässer hinter der Kirstaskaja. Sie zuckte zusammen, antwortete aber nicht. Dr. Langgässer sprach ein gutes Russisch … in zwanzig Jahren kann man es lernen. »Vielleicht wäre das Bein in einer Spezialklinik zu retten, aber davon wollen wir gar nicht reden. Ich hätte auch selbst amputiert. In den vergangenen Jahren habe ich mehrmals mit einfachen Messern und selbstgebastelten Instrumenten Amputationen vorgenommen. Aber ich hörte von Major Kraswenkow, daß ein Arzt am Ort sei, und hoffte auf Unterstützung zum Wohl des Verletzten.«
    »Ich bin ja hier!« sagte die Kirstaskaja abweisend. Sie beugte sich über das Bein, untersuchte es schnell und nickte. »Es ist besser, es abzunehmen, als daß er es als lästiges, unnützes Anhängsel seines Körpers mit sich herumschleppt.« Sie richtete sich auf, und wieder trafen sich ihre Blicke.
    Was siehst du mich so an, du deutscher Hund?, dachte die Kirstaskaja wütend und wandte sich zu Ludmilla um. Aber sie wußte, daß sie sich selbst belog. Er hat bernsteinfarbene Augen, dachte sie. Und welche Weite liegt in ihnen. Er hat Rußland in sich aufgenommen, und nun irrt er in der Grenzenlosigkeit umher und findet keinen Ort der Ruhe.
    »Gib das Besteck her, Ludmilluschka«, sagte sie mit ihrer tiefen Stimme. »Der deutsche Arzt wird ja noch wissen, wie ein Amputationsmesser und eine Aderklemme aussehen …«
    Während die Kirstaskaja und Ludmilla sich wuschen und weiße Kittel anzogen, ihre Hände in die mitgebrachte antiseptische Lösung tauchten und sich von einem deutschen Sanitäter, der Ludmilla mit rollenden Froschaugen anstarrte und bewunderte, die Gummihandschuhe überstreifen ließen, ordnete Dr. Langgässer auf einem weißen Handtuch das Operationsbesteck der Kirstaskaja. Nichts fehlte … von der Kreislaufinjektion bis zur Infusion, von der atraumatischen Nadel bis zum Penicillinpuder, von der kleinsten Pinzette und Tuchklammer bis zum scharfen Löffel und der großen Knochenschere.
    Dr. Langgässer breitete alles aus, und die Kirstaskaja sah, wie seine langen, dünnen Finger liebkosend über

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