Liebesnächte in der Taiga
hatte.
»Er wird denken, wir sind in Persien«, sagte Ludmilla und lehnte sich an Semjonow. »Laß uns in Rußland bleiben, Pawluscha …«
»Wir werden immer auf der Flucht sein! Nie werden wir Ruhe haben! Ein Wolf wird friedlicher leben als wir.«
»Aber es ist Rußland, Pawluscha.«
Semjonow schüttelte den Kopf. »Wahnsinn wäre es.« Er sah in den Himmel. Fahl wurde er, und es stieg Nebel aus dem feuchten Boden, wie es Oberst Aref geahnt hatte. »Sie warten auf uns, oben an der Grenze. Sieh, ich habe Trageriemen bei mir. Ich trage dich hinauf. Tausend Meter nur noch, Ludmilluschka … und wir können die Arme ausbreiten und Frieden sagen.«
Ludmilla nickte, aber schwer fiel es ihr, man sah es ihren Augen an. »Zuerst Nadja. Du schaffst es nicht, wenn du uns beide gemeinsam tragen willst.«
Und so ging Semjonow zweimal zwischen Persien und Rußland hin und her. Zuerst brachte er die große Ledertasche mit Nadja zur Grenze, und über dem Rücken trug er die Decken und die Verpflegungstasche und das wenige, was sie für ihre Flucht gebraucht hatten … einen Kocher, einen Topf, ein paar Löffel, zwei Messer und zwei blecherne Tassen. Die iranischen Soldaten nahmen ihm alles ab, und Semjonow ging zurück, um Ludmilla zu holen.
In den Trageriemen hockte sie, auf dem Rücken Semjonows, als er keuchend die Grenze zum letztenmal erreichte, ein schwankender, von Schweiß durchnäßter Mensch, der nicht mehr fähig war, ein Wort zu sagen und gegen die Wand des Wagens sank, als Ludmilla von seinem Rücken gehoben wurde.
Die iranischen Soldaten starrten sie an, denn Ludmilla hielt in der Hand die schußbereite Tokarev, und sie sah nicht aus, wie man sich ein armes schwaches Weibchen vorstellt, sondern bis auf ihren dick geschwollenen Fuß war sie munter und musterte mit aufmerksamen Augen die fremden Uniformen.
Oberst Aref, der mit zur Grenze hinausgekommen war, grüßte sie mit militärischem Gruß. Ein glücklicher Mensch, dieser Semjonow, dachte er jetzt. Welch eine Frau hat er!
Welch ein Weib! Und man kann es dem Oberst Aref glauben … denn von Frauen verstand er mehr als alle Männer zwischen Mesched und Teheran.
Noch am selben Tag wurden Semjonow und Ludmilla nach Teheran geflogen, nachdem General Saheli sich eine Stunde lang mit ihnen unterhalten hatte. Etwas Unerhörtes hatte sich da zugetragen, das wußte man jetzt. Durch die Schlucht war eine Bombe in den Iran gerollt, deren Detonation verhindert werden mußte.
Der Generalstab in Teheran wurde verständigt; der iranische Abwehrdienst stellte außerhalb Teherans ein Haus bereit, in dem Semjonow so lange wohnen sollte, bis man über sein weiteres Schicksal Klarheit gewonnen hatte. In der US-Botschaft erschien ein Bote des Schahs und berichtete von dem Mann, der nach zweijähriger Flucht quer durch Rußland den Boden der freien Welt erreicht hatte.
Im Morgengrauen noch summten die Telegrafen zwischen Teheran und Moskau. Oberstleutnant Hadley, der Presseattaché der US-Botschaft in Moskau, wurde aus dem Bett geholt und hörte mit verschlafenen Augen die Meldung an, die soeben durchgegeben worden war. Dann aber wurde er sehr munter und verlangte laut nach einem doppelten Whisky und einer Zigarette.
»Semjonow?« rief er. »Jungs, das ist doch ein Witz! Der fault doch längst in sibirischer Erde wie unser guter James Bradcock!« Aber dann las er den Klartext der verschlüsselt durchgegebenen Meldung aus Teheran noch einmal durch und warf den Zettel gegen die Wand. »Ich werde verrückt!« rief er und trank seinen Whisky in einem Zug. »Nach dem, was die Brüder aus Teheran melden, ist er es! Mit Frau und Kind sogar, ein vollendeter russischer Muschik! Ich bekomme Herzklopfen, Jungs … Wißt ihr, was da aus der Taiga herübergekommen ist?« Und als die in Schlafanzügen erschienenen Botschaftsmitglieder schwiegen, schlug Hadley auf den Tisch.
»Ein ganz dickes Ei ist da gekommen, Jungs! Dieser Semjonow ist der Knabe, der uns von Kusmowka aus einfach in den Hintern trat, seinen Auftrag zurückgab, die Geräte zerstörte und mit dem Mädchen abhaute in die Wälder! Damals haben wir ihn fallenlassen; aber jetzt kommt er zurück, und er war in den Raketenbasen und hat den Aufbau von Oleneksskaja Kultbasa miterlebt! Der Kerl steckt voller Informationen! Begreift ihr, Jungs? Dieser Heller-Semjonow ist ein Goldstück … man muß ihn nur wieder blankputzen. Er ist etwas angelaufen! Und das werde ich tun! Ich werde ihn polieren!«
Mit einer Verkehrsmaschine
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