Liebesnächte in der Taiga
flog Oberstleutnant Hadley am Morgen nach Tiflis, stieg dort um und flog weiter über Täbris nach Teheran. Gegen Abend traf er ein, berichtete dem US-Botschafter des Iran, wer dieser Knabe Semjonow wirklich war, und hatte anschließend eine Besprechung mit Vertretern der iranischen Regierung und des Geheimdienstes.
Die Besprechung war unangenehm. Auf die Forderung Hadleys, Semjonow unter den Schutz der US-Botschaft zu stellen, lächelte ihn der Chef des iranischen Geheimdienstes freundlich an, und dieses Lächeln sagte Hadley, daß er in der falschen Richtung marschiert war.
»Mein lieber Oberstleutnant«, sagte General Reza Achmed, und er steckte sich dabei umständlich eine Zigarette an. »Wieso wollen die USA den Schutz Semjonows übernehmen? Sie wissen genausogut wie ich, daß Semjonow ein Deutscher ist und Franz Heller heißt. Wir werden ihn also der Deutschen Botschaft übergeben, wenn wir mit seinem Verhör fertig sind.«
»Lieber General!« Hadley nippte an dem Orangensaft, den man ihm gebracht hatte, denn ein Mohammedaner mißachtet den Alkohol. »Warum spielen wir Katz und Maus? Sie wissen, wer Heller ist. Sie kennen seine Aufgabe im CIA …«
»Natürlich. Er hat uns alles erzählt.« General Reza Achmed war glücklich, das sagen zu können. »Eben deshalb soll sich die Deutsche Botschaft mit ihm beschäftigen. Die iranische Regierung möchte sich aus diesem Spiel heraushalten, verstehen Sie? Es geht um die gutnachbarlichen Beziehungen zwischen uns und der Sowjetunion …« Der General sah dem Rauch seiner Zigarette nach. Gut tat es ihm, einmal so mit einer westlichen Großmacht sprechen zu können. »Semjonow hat im übrigen um Asyl gebeten und um die Daueraufenthaltsgenehmigung nachgesucht. Er möchte einen Teppichexport gründen, sagt er.«
»Unsinn!« Oberstleutnant Hadley sprang auf. »Wie steht Ihre Regierung zu dem Antrag?«
»Wir werden Semjonows Antrag eingehend prüfen.« General Reza Achmed lächelte wieder, und dieses Lächeln brachte Hadley fast um den Verstand. »Er kann nachweisen, daß er reich ist … im iranischen Sinne. Er hat einige tausend Rubel mitgebracht. Er wird also dem Staat nicht zur Last fallen, sondern im Gegenteil unserer Wirtschaft nützen …«
Bis gegen Mittag hatten Semjonow, Ludmilla und Nadja geschlafen. In einem weißen Haus wohnten sie nun, ein herrlicher Garten mit einem Schwimmbecken umgab es. Aber da waren auch hohe Mauern mit einbetonierten spitzen Glasscherben als Abschluß; und vor dem Eingang – ein schönes Gittertor war's – standen zwei iranische Soldaten, und unten, neben der großen Diele, saßen in einem Zimmer weitere sechs Soldaten mit einem Offizier und spielten Schach oder Domino.
Nach dem Mittagessen standen Semjonow und Ludmilla auf einem Balkon, sahen in den Garten und freuten sich über die kleine Nadja, die unten im Gras herumkroch und mit einem jungen Soldaten spielte. Das erste Verhör durch General Reza Achmed war vorüber, Semjonow hatte seine Wünsche vorgetragen und um Schutz gebeten. Aus einem nahen Bazar hatte man ihnen Kleider gebracht; Semjonow einen hellbeigen Anzug und Nylonhemden, Ludmilla ein Kleid aus leichter Seide, lustig geblümt und kurz bis zu den Knien. Wie ein Schulmädchen sah sie aus, und da sie gebadet und Semjonow sich rasiert hatte, waren sie nun ein schönes Paar, das jeder beneidete … die Männer um dieses Weibchen, das so wundervoll jung aussah, und die Frauen um diesen Mann, in dessen Falten der Sturm der Taiga schlief und in dessen Augen die Weite der Lena rann.
»Schön ist es hier, Pawluscha«, sagte Ludmilla leise und legte den Arm um Semjonows Hüfte. »Wie lustig Nadja mit den Blumen spielt! Weißt du noch, wie sie die ersten Blumen im Garten von Bulinskij sah …«
Semjonow legte seine Hand auf ihre Lippen. »Nicht mehr daran denken«, sagte er, tief atmend. »Wo liegt Bulinskij? Irgendwo dort, wo es nebelhaft ist und kalt und grau … Aber dort unten, siehst du, dort die Stadt Teheran. Sieh dir die glänzenden Kuppeln der Moscheen an, die schlanken Finger der Minarette. Das Meer der Häuser um die engen Gassen und die neue Stadt mit den breiten Boulevards. Dort, irgendwo in dem Gewühl der Menschen, werden wir einmal leben, einen Teppichladen haben und abends die Tür abschließen, uns umarmen und ganz allein für uns sein. Und kein Karpuschin wird an die Tür klopfen, und wir brauchen nicht mehr die Nagan unter den Kopf zu legen, wenn wir schlafen wollen. Und Nadja wird nie erfahren, was Not
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