Liebesnächte in der Taiga
Alajew.«
Karpuschin zögerte, Chimkassy anzurufen und damit die GRU zu alarmieren. Dann sagte er sich, daß dies keine militärische, sondern eine innerrussische Angelegenheit sei und damit die GRU nichts anginge.
»Meinen Wagen und drei Mann!« rief Karpuschin ins Telefon. Dann steckte er eine Pistole in die Tasche seines unmodernen, abgewetzten braunen Anzuges, zog den Knoten seines roten Schlipses hoch und machte sich bereit, den Möbelhändler Alajew zu besuchen.
Stepan Iwanowitsch Alajew war völlig ahnungslos, als vier neue Kunden sein Möbellager betraten und sich interessiert die Sessel und Sofas, die Küchenschränke und sogar die Wäschepuffs ansahen. Der älteste der Männer in einem braunen Anzug nahm eine Papyrossa aus der Tasche und wollte sie anzünden, und so peinlich es Alajew war – hier mußte er eingreifen.
»Genosse, in einem Möbellager sollte man nicht rauchen«, sagte er höflich. »Holz und Stoffe brennen schnell, und ich habe gutes, abgelagertes Holz hier. Bitte, rauchen Sie vor der Tür, wenn Sie das Bedürfnis danach haben.«
Karpuschin steckte die Zigarette zurück in die Tasche, trat auf Alajew zu und gab ihm eine schallende Ohrfeige.
»Genosse«, stammelte Alajew. »Was tun Sie? Ich habe Sie höflich gebeten … und Sie …«
»Setzen!« befahl Karpuschin. Er zeigte auf einen harten Küchenstuhl. Alajew sah sich hilfesuchend um. Und erst jetzt bemerkte er, daß die drei anderen Möbelinteressenten einen Kreis um ihn bildeten und ihn mit ausdruckslosen Gesichtern musterten.
In diesem Augenblick wußte Alajew, daß sein Leben beendet war. Er fand keine Erklärung dafür, wie man ihn hatte entdecken können, aber nun, als er den Mann im braunen Anzug und mit dem roten Schlips genauer ansah, erkannte er jenes Fluidum kalter Unpersönlichkeit, das ihn immer hatte frieren lassen, wenn er Möbel in den Kreml lieferte und in enge Berührung mit dem Geheimdienst gekommen war.
Leugnen hatte keinen Sinn mehr, das war Alajew klar. Zu leugnen versuchten nur die ausländischen Agenten, in dem Wahn, man würde ihnen glauben … ein Russe weiß, daß die Wahrheit nie versteckt werden kann. Selbst der tiefste Winkel des Herzens ist kein Versteck … man kann ein Herz aus der Brust reißen und es zerteilen.
»Sind Sie vom KGB, Genossen?« fragte Alajew, als er auf dem harten Küchenstuhl saß. Gelackte Naturbirke mit einem Linoleumsitz. Fünfzehn Rubelchen nur, ein Sonderpreis.
Oberst Karpuschin lehnte sich gegen eine Kommode. Er verschränkte die Arme über die Brust und sah Alajew wie einen Misthaufen an, der über Nacht vor seine Tür gelegt worden war.
»Du gibst also zu, ein Schwein von Spion zu sein?« fragte er nach dieser stummen Musterung.
»Ich habe noch nichts gesagt, Genossen.« Alajew dachte an Jekaterina, seine Frau, die jetzt oben in der Küche stand und für Mittag ein Hühnchen im Backofen hatte. Dazu sollte es Apfelmus geben und hinterher ein Schlückchen Kara-Tschanach. Und für morgen hatte das gute Weibchen einen Kuchen backen wollen, eine Biskuittorte mit Mandarinen. In den Gorkij-Park wollte man gehen, denn morgen war ja Sonntag. »Ich habe nur gefragt, woher Sie kommen.«
»Wo ist der Sender?« fragte Karpuschin, angewidert von so viel Ruhe.
»Unterm Dach, Genossen.«
»Mit wem haben Sie Verbindung?«
»Mit einem Mann, der sich Otto nennt.«
»Otto? Das ist deutsch!«
»Ja.«
»Wo ist Franz Heller?«
Das war die Frage, auf die Alajew von Beginn an gewartet hatte. Er hatte eigentlich immer damit gerechnet, daß sein Leben einmal in den Kellern der Lubjanka, dem berüchtigten Gefängnis Moskaus, oder irgendwo in einer Kiesgrube endete, nur hatte er sich immer wieder eingeredet, daß dieser Tag noch sehr fern sei und er bis dahin noch viel für seine Rache an den Bolschewisten tun könne.
»Heller?« fragte Alajew zurück und machte große, dumme Augen. »Wer ist das, Genosse?«
Karpuschin beugte sich vor und gab Alajew noch eine Ohrfeige. Es klatschte anständig, der Kopf wackelte wie bei einer Spielzeugpuppe, und Alajew mußte sich am Sitz des Küchenstuhles festhalten, um nicht in den Staub seines Möbellagers zu fallen.
»Benimm dich vernünftig«, sagte Karpuschin mit fast väterlicher Stimme. »Hat es Sinn, die Unwahrheit zu sagen? Ich bedauere jeden, der glaubt, mich anlügen zu können.«
Während sie miteinander sprachen, waren zwei der Begleiter Karpuschins weggegangen. Es dauerte nicht lange, und sie kamen zurück. Der eine trug den
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