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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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etwas Schreckliches mit ihm geschehen sollte.
    Gegen 11 Uhr holten sie ihn.
    »Alles mitnehmen!« sagte der Wachsoldat. Ein Ausdruck, der alles bedeuten konnte: Freiheit oder Tod. Alajew nickte stumm, packte seine wenigen Habseligkeiten zusammen, sah sich noch einmal in seiner sauberen Zelle um und nahm so Abschied vom Leben.
    Man führte Alajew durch Gänge und über Flure, die er noch nie gesehen hatte. Er kletterte Treppen hinauf und Treppen hinunter, wartete in leeren Zimmern, sah hübsche Sekretärinnen, die ihn mit keinem Blick beobachteten, und Beamte, die wie überall auf der Welt hinter ihren Tischen saßen, umgeben von Akten und doch in ihren Augen die Schläfrigkeit eines in der Winterruhe gestörten Murmeltieres trugen.
    Nach fast einer halben Stunde Wanderung durch die Lubjanka führte man Alajew in ein Zimmer, das nach Karbol roch, weiß gekachelt war und aussah wie ein Operationssaal. In der Mitte stand ein mit Wachstuch bezogenes Bett, und an diesem Bett sah er zwei unbekannte Männer in weißen Kitteln, Oberst Karpuschin, zwei fremde Offiziere in Uniform, einen Schreiber und den Lubjanka-Direktor.
    Alajew blieb an der Tür stehen. Sein Herz war kalt vor Angst. Es ist einfacher, sich vorzunehmen, tapfer zu werden, als tapfer zu sein. Helden werden nicht geboren und nicht erzogen … meistens ist Heldentum nichts als Verzweiflung, wenn man's genau betrachtet.
    »Kommen Sie, Stepan Iwanowitsch!« sagte Oberst Karpuschin freundlich. »Es geschieht Ihnen nichts. Wir werden mit Ihnen nichts machen, was sich nicht mit der Humanität vereinbaren läßt.«
    Alajew atmete noch einmal tief, dann ergab er sich in das Schicksal.
    Er mußte sich ausziehen und sich nackt auf den Wachstuchtisch legen. Einer der Männer im weißen Kittel stülpte ihm einen chromblitzenden Helm mit vielen dünnen Drähten über den Kopf, deren Enden er geschickt und schnell auf die Kopfhaut Alajews klebte. Sein rechter Arm bekam eine Manschette, Drähte legten sich um seinen Puls. Jemand band ihm die Beine und die Arme fest. Ein Lederriemen fesselte seinen Kopf mit dem Helm fest auf den Tisch.
    »Fertig!« sagte jemand.
    Alajew sah, wie sich Karpuschin neben ihn auf einen Stuhl setzte. Auf der anderen Seite des Bettes wurde ein Tisch herangeschoben; dort hockte sich der Stenograf hin, ein mickriges Männchen mit einer randlosen Brille und einer dicken, gebogenen Nase. Er muß sich selbst in die Nase beißen können, dachte Alajew völlig sinnlos. Und wehe, wenn er Schnupfen hat. Dann schluckt er jeden Tropfen, der ihm aus den Nasenlöchern sickert.
    In diesem Augenblick spürte er einen Einstich. Einer der weißen Männer gab ihm eine Injektion in die linke Armvene, und gleichzeitig schienen die kleinen Drähte um seinen Kopf zu summen wie tausend winzige Bienchen, wie Zwergmücken in den sommerlichen Sümpfen von Pripjet.
    Alajew versuchte, weiter an die Nase des Schreibers zu denken, aber es gelang ihm nicht mehr. Er verspürte Übelkeit und Würgen, sein Herz begann zu flattern, in seinem Hirn wurde es dumpf, als decke jemand jede einzelne Partie mit einem nassen Handtuch ab. Seinen ganzen Körper durchzog es wie eine Lähmung. Ich scheiße ihnen auf den Tisch, dachte Alajew mit letzter Denkkraft. Ich habe Kipjatok getrunken mit frischem Brot. Das treibt doch, Genossen! Und nun gebt ihr mir eine Spritze, daß alles erschlafft, auch der Schließmuskel … Verzeiht, Genossen, wenn es übel riechen wird. Es war nicht mein Wille …
    Hier verlor Alajew sein kontrolliertes Denken. Er lag in einer Art Halbschlaf, reagierte auf Fragen und gab Antworten und wußte und hörte es selbst nicht.
    Man hatte sein Ich ausgeschaltet … man unterhielt sich mit seinem nach oben geholten Unterbewußtsein. Man zerrupfte seine Seele.
    Die Gehirnwäsche begann …
    Erst gegen Abend wurde es wieder klar um Stepan Iwanowitsch Alajew. Er lag auf seiner Pritsche in der alten Zelle, und es war ihm zum Kotzen übel. Mit schwankenden Beinen tastete er sich zum Kübel in der Ecke der Zelle, kniete sich davor und würgte, bis Magen- und Gallensaft kam und ihm die Mundhöhle ätzte. Dann hatte er plötzlich das unstillbare Bedürfnis, zu schreien, warf den Kopf in den Nacken und brüllte hemmungslos wie ein verendendes Pferd. Nur wer schon ein sterbendes Pferd gehört hat, weiß, wie es klang.
    Als er heiser war vom Schreien, schwankte er zurück zum Bett und sah erst da, daß er nicht allein in der Zelle war. Oberst Karpuschin saß neben der Tür auf einem

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