Liebesnächte in der Taiga
erreichte den Motor und schob Njeweroff weg, der mit blutender Nase versuchte, eine Düse abzuschrauben.
»Hilf mir, Freundchen«, stotterte er, als er sah, daß Semjonow anscheinend etwas von Motoren verstand, denn er löste die Mutter des Benzinschlauches und blies in ihn hinein. »Sie schlagen mich tot, wenn etwas passiert! Und dabei liefen die Motorchen immer so gut, und ich hatte eine solche Freude, als sie wieder knatterten. Vier Kinder habe ich, und mein Weibchen …«
Semjonow warf den jammernden Pjotr Mihailowitsch gegen die Bordwand, wo er liegenblieb wie ein nasser Hund. Dann löste er alle Benzinzufuhren, schraubte die Zündkerzen heraus, reinigte sie von Öl und Ruß, kontrollierte den Filter und setzte alles wieder zusammen. Das dauerte etwa zehn Minuten, und die Eisbarriere wuchs vor ihnen auf, ein Gebirge aus übereinandergeschobenen Eisschollen.
Die letzte Mutter, die letzte Schraube … Jetzt muß er anspringen, dachte Semjonow, jetzt muß das Geräusch des Ansaugens kommen, oder uns behüte Gott in der Ewigkeit …
Und es kam! Der Motor spuckte, ein helles Knattern, Qualm quoll hervor. Aber dann arbeitete er, das Boot machte eine Wendung und fuhr seitlich zur Strömung zum gegenüberliegenden Ufer.
»Wir fahren!« brüllte Njeweroff. »Er hat den Motor in Gang gebracht! Ein Genie ist er, Freunde! Wir fahren!«
Er schwankte zum Ruder, hielt es fest und lenkte das Boot über die Tunguska.
Am anderen Ufer küßte er Semjonow, und alle, die auf dem Boot waren, umarmten ihn und nannten ihn ihren Lebensretter. Die Weiber küßten ihm die Hand wie einem Herrn, und Tschigirin klopfte ihm schwitzend auf die Schulter.
»Das vergesse ich dir nie, Pawel Konstantinowitsch«, sagte er. »Von jetzt an braucht ihr mir keine zehn Rubel mehr für das Bett zu zahlen.«
Der Ruhm Semjonows erklang laut in ganz Wiwi. Für den Stadtsowjet Wladimir Jewsejewitsch Gapka war es der Anlaß, den Popen Alexeij zu ärgern. »Nicht Gott, sondern der Mut, die Kraft und das Wissen eines Werktätigen hat eine große Tat vollbracht!« rief er auf dem Marktplatz bei der öffentlichen Ehrung Semjonows. »Genosse, ich habe nach Krasnojarsk geschrieben. Man soll dir eine Medaille verleihen! Wir sind alle stolz auf dich!«
Semjonows Herz stand still, als er dies hörte. Er wußte, daß sofort jemand aus Krasnojarsk kommen würde, aber nicht, um ihm die Medaille an die Brust zu heften, sondern um ihn gefesselt abzuführen.
Auch die Weite der Taiga ist nur ein enger Raum, wie man jetzt sieht.
Noch am späten Abend sprach Semjonow mit Tschigirin darüber. Ludmilla packte bereits die Kästen und Säcke für die Weiterreise. Sie hatte kein Wort der Klage geäußert. Mit großen Augen, in denen Semjonow die Wahrheit las: So wird es uns immer wieder ergehen. Nie werden wir Ruhe haben! – nahm sie ihre Kleider aus dem Schrank und suchte die Wäsche zusammen.
»Man sollte jeden Politiker erhängen!« schrie Tschigirin. »Du hast uns das Leben gerettet, aber die Idioten in Moskau wollen dich erschießen! Kann man das verstehen? O Himmel, warum sind wir Menschen bloß solche Hammel, die sich von einigen Großmäulern zur Schlachtbank führen lassen?«
Was halfen alle Klagen? Semjonow und Ludmilla kauften noch zwei große Körbe, und bepackt mit Säcken, den Körben und zwei Koffern stiegen sie in Wiwi in den Zug. Die Strecke war eingleisig und vor allem für den Materialtransport gebaut. Sie führte nach Nordosten, bis Tura.
Tschigirin hatte einen raffinierten Plan ausgedacht. Wenn man von Tura aus immer wieder umsteigt und alle Bahnen benutzt, die nach Norden führen – Holzzüge, Arbeiterzüge, Güterstrecken –, so kommt man nach einem Monat in das Gebiet des Flusses Olenek. Dort hat man die Republik der Ewenken verlassen und ist hinübergewechselt in das Gebiet der Jakuten. Was aber weiß man in Jakutsk oder gar Irkutsk davon, welche Sorgen man in Krasnojarsk hat?
»Im Mai seid ihr aus allen Gefahren heraus!« sagte Tschigirin, als er die Strecke auf der Karte eingezeichnet hatte. »Ich werde dir ein Zeugnis ausstellen, Pawel Konstantinowitsch, daß du Gerber bist und im Norden eine neue Arbeitsstelle suchst.«
So geschah es, und mit dem letzten Zug, der Wiwi in Richtung Tura verließ, fuhren Ludmilla und Semjonow erneut in eine ungewisse Zukunft.
»Sehen wir uns wieder?« fragte Tschigirin am Zug. Es war kein feudaler Zug; in Viehwagen hatte man den Boden mit Stroh bedeckt, Bänke aufgestellt und so für Fahrgäste
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