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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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breitete sich Jubel aus. Ludmilla wurde umarmt, bekam Eier, Brot und Speck geschenkt, zwei Hühner und ein Ferkelchen. Sie mußte Gurken aus einem Glas essen und erhielt ein Säckchen mit Bohnen, und alle lobten den guten Pawel Konstantinowitsch Semjonow und nannten ihn einen Engel.
    Nur Ludmilla schwieg, saß zusammengedrückt in ihrer Ecke im Stroh und starrte ins Leere. Auch das wird uns wieder eine neue Flucht einbringen, dachte sie schaudernd. Nur Gutes tut er, mein Pawluscha, und er muß es büßen mit Elend und Hunger, Kälte und Einsamkeit.
    Nach zwei Tagen erreichten sie Mulatschka. Ein trostloses Dorf mit Blockhäusern und einem Bahnhof, der aus Holzstapeln und einer Hütte bestand. Man trug den Lokführer aus dem Zug, legte ihn in das Stationsgebäude und überließ ihn dann seinem weiteren Schicksal. Auf dem Nebengleis stand bereits ein anderer Zug unter Dampf. Er pfiff ungeduldig, und die Völkerschar mit Hunden, Katzen, Ziegen, Schweinen, Hühnern, Kisten und Säcken ergoß sich in die Waggons und richtete sich wohnlich ein.
    Ludmilla und Semjonow setzten sich neben den kranken Lokführer und gaben ihm aus einer Thermosflasche Tee zu trinken. Von draußen tönte das Schreien und Rufen der Menschen in den warmen Raum, aber niemand ließ sich blicken, um dem Kranken zu helfen.
    »Hier lebt ein Arzt«, sagte der Kranke schwach. Sein Körper war nun gescheckt, aber die schreckliche Blödheit war aus seinem Kopf gewichen. Er erkannte seine Umwelt wieder und konnte vernünftig reden. »Im Haus Nummer vierzehn. Boris Antonowitsch Pluchin. Ein Verbannter war er einmal. Nun lebt er hier, bei den Holzfällern. Holt ihn, Freunde …«
    Während Ludmilla bei dem Kranken blieb, suchte Semjonow das Haus Nummer vierzehn und fand Dr. Pluchin auf dem gemauerten Ofen liegen. Schon als er die Tür aufmachte, klang Semjonow eine helle, schneidende Stimme entgegen.
    »Behandlungszeit von 10 bis 12 Uhr! Raus, du dreckige Laus!«
    »Verzeihung, Doktor«, sagte Semjonow höflich, blieb in der Tür stehen und nahm die Pelzmütze von den stoppeligen blonden Haaren. »Es handelt sich um einen Flecktyphuskranken.«
    »Blödsinn!« schrie Dr. Pluchin vom Ofen herunter. »Wie kannst du Idiot das feststellen?«
    »Das Fleckfieberexanthem ist deutlich ausgebildet. Die Milz ist deutlich tastbar und sehr vergrößert und hart …«
    »Zum Teufel auch!« Über der Ofenplattform erschien ein kleiner, zarter, feiner Greisenkopf mit langen weißen Haaren, der Kopf eines Gelehrten, zu dem die rauhe Sprache des Urwaldes gar nicht paßte. Dr. Pluchin sah auf Semjonow hinab, schob die Beine herum und kletterte vom Ofen. »Wer bist du?«
    »Ich heiße Pawel Konstantinowitsch Semjonow, Doktor, und bin eben mit dem Zug gekommen. Der Lokführer erkrankte unterwegs an Typhus, und ich fuhr den Zug weiter.«
    »Und wo liegt er?«
    »Im Stationsgebäude. Meine Frau ist bei ihm.«
    »Gehen wir.« Dr. Pluchin zog seinen Pelzmantel an, stülpte eine hohe Fellmütze über die weißen Haare und blickte Semjonow noch einmal fragend an. »Was wollen Sie hier?« sagte er, und es war eine große Ehre, daß er Sie sagte. »Hier ist die Welt zu Ende …«
    »Wir suchen das Ende der Welt, Doktor.«
    Dr. Pluchin schwieg. Er stieß Semjonow in den Rücken, und sie verließen schnell das Haus Nummer vierzehn.
    So lernten sich Semjonow und Dr. Pluchin kennen. Man fragte sich nicht lange aus, man fand sich sympathisch, und Dr. Pluchin sagte in seiner abrupten Art: »Wenn Sie hierbleiben wollen, Semjonow, bleiben Sie. Ich habe Platz im Haus.«
    »Sie kennen uns gar nicht, Doktor«, erwiderte Semjonow langsam.
    »Nein.«
    »Sie wissen nicht, was mit uns los ist.«
    »Sie werden es mir schon erzählen, Pawel Konstantinowitsch, wenn Sie es für nötig halten. Ich habe verlernt, neugierig zu sein. Es ist oft besser, wenig zu wissen als zuviel. Also bleiben Sie! Ihre Frau braucht Ruhe. Sie sieht schlecht aus. Sie sollten sich darum kümmern …«
    Als sie schon sechs Tage bei Dr. Pluchin wohnten, kam auch nach Mulatschka die Schneeschmelze, und die Wege ertranken im Schlamm. Am Morgen schwankte Ludmilla durch das Haus, klagte über Übelkeit, erbrach und legte sich blaß und erschöpft auf die Bank neben dem Ofen. Semjonow war nicht im Haus. Er watete durch den Schlamm und suchte zwei Hühner zu kaufen. Dr. Pluchin war im Holzfällerlager und behandelte einen Unfall. Als er zurückkam, fand er Ludmilla auf der Ofenbank vor, ein würgendes, armes, ratloses Vögelchen.
    »Ich

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