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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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führte mitten durch einen noch unerschlossenen, verfilzten Nadelwald, den nur die Schienenleger mit einer fünf Meter breiten Schneise durchforstet hatten. Was links und rechts der Eisenbahn lag, wußte niemand. Vielleicht trafen sich in zwei oder drei Jahren die Einschlagbrigaden irgendwo hier in der Wildnis und feierten dann mit Tanz und Schnaps die Vereinigung von Schatzilski und Mulatschka.
    Wie gesagt, Geduld ist das beste Gepäck auf einer Reise durch die Taiga. Drei Tage Fahrt war das mindeste, was man bis Mulatschka rechnete, aber als am ersten Tag der Zug bereits zweimal in Schneeverwehungen steckenblieb und die Männer die Schienen freischaufeln mußten, ahnte man, daß es auch fünf Tage werden könnten. Man schlachtete dann eben ein Huhn mehr. Kein Grund zur Aufregung, Mamuschka.
    Am zweiten Tag hielt der Zug wieder einmal plötzlich, und zwar so abrupt, daß die Kisten übereinanderpolterten, die Mütterchen ins Stroh rollten und die Männer sich unfreiwillig gegenseitig traten.
    »Der Satan hole den Zugführer!« brüllte es aus allen Waggons. »Schläft er, der Hurensohn? O nein, Genossen, besoffen ist er! Total besoffen! Verdammt noch mal, was sind das für Zustände?«
    Von der Lokomotive her wurde die Nachricht von Wagen zu Wagen weitergereicht: Der Lokführer liegt mit hohem Fieber neben den Kohlen. Er hat die Besinnung verloren. Sein Kopf glüht wie eine überhitzte Pfanne. Gott sei bei uns … wir können nicht weiter!
    Semjonow watete durch den hüfthohen Schnee zur Lokomotive. Dort umstanden ein Haufen Männer den ohnmächtigen Lokführer und beschimpften und bespuckten ihn grundlos mit Sonnenblumenkernen.
    »Plötzlich kippte er um, Brüderchen!« klagte der Heizer und fuchtelte mit seiner Kohlenschaufel durch die eisige Luft. »Er sieht mich noch an wie ein Hündchen, will etwas sagen und bums, liegt er da. Ich habe sofort den Zug angehalten. Was soll ich anderes tun? Ich verstehe nur etwas von Kohlen … fahren konnte nur er!«
    Semjonow machte sich mit den Ellenbogen Platz, kniete neben dem Ohnmächtigen nieder und zog ihm die Fufaika, den Pullover und das Hemd aus. Auf der gelblichen Haut zeigte sich ein weitverstreuter, rötlicher, pustelartiger Ausschlag, von den Schultern hinunter bis zum Bauch, an den Armen, ja sogar bis in die Handflächen hinein.
    Semjonow warf die Fufaika über den nackten Oberkörper, legte den Kopf des Kranken in seinen Schoß und ohrfeigte ihn. Die Männer um ihn herum grunzten zustimmend. Verdient hat er es, diese Mißgeburt von einem Lokführer. Feste, Brüderchen, schlag ihn!
    Semjonow wartete auf eine Reaktion. Langsam öffnete der Kranke die Augen, aber sein Blick war geistesabwesend, ja blöde, er verstand nicht, was um ihn herum vorging. Schließlich fiel sein Kopf wieder in den Schoß Semjonows zurück, und die Augendeckel schlossen sich.
    »In den Schnee mit ihm!« schrie jemand aus der Menge. »Hat man so etwas schon gesehen? Sinnlos betrunken!«
    »Nein, Genosse«, sagte Semjonow langsam, aber für jeden deutlich. »Er ist krank, sehr krank. Er hat den Flecktyphus! Ihr alle könnt euch anstecken an ihm …«
    Einen Augenblick erstarrten die Männer, dann löste sich die Gruppe auf, stolperte zu den Waggons zurück und verschwand im Inneren.
    Typhus. Das kannten sie. Das bedeutete Quarantäne, wenn es ein Amtsarzt erfuhr. Das bedeutete elendes Leben in Baracken, Impfungen, schlechte Verpflegung und zur Erholung weltanschauliche Schulung durch den Dorfsowjet.
    Semjonow richtete sich auf. Ein älterer Mann in einem dicker Fuchspelz war als einziger im Führerstand der Lok geblieben.
    »Was wird nun?« fragte er mit sachlicher Stimme. »Diese Idioten rennen davon, als wenn es davon besser würde. Nach Mulatschka sind es gute zwei Tage Fahrt. Bis man uns hier findet, können sechs Tage vergehen, denn so lange brauchen sie, um zu merken, daß etwas mit dem Zug nicht stimmt. Bis dahin sind wir erfroren. Aber daran denkt niemand!«
    »Ich werde den Zug weiterfahren«, sagte Semjonow ruhig. »Wer sind Sie, Genosse?«
    »Ich bin Kontrolleur der Holzlager. Wenn ich Ihnen helfen kann …« Der Mann im Fuchspelz sah Semjonow fragend an. »Sie verstehen etwas von Lokomotiven?«
    »Ich bin Ingenieur, Genosse. Ich habe selbst schon solche Züge gefahren.« Semjonow trat an den Führerstand und löste die Bremse. Dann drückte er den Fahrthebel hinunter, gab Dampf und ließ die Sirene dreimal aufheulen. Langsam ruckte der Zug an und ratterte weiter.
    In den Waggons

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