Liebesnächte in der Taiga
Semjonow wartete, doch nur der Rauch einer Zigarette quoll aus der Dämmerung.
»Ich war dort Holzingenieur. Wir heirateten heimlich und flüchteten dann.«
Dr. Pluchin wartete, aber Semjonow sprach nicht weiter.
»Was soll's?« fragte Pluchin. »Das ist keine Erklärung.«
Semjonow griff in die Tasche und legte seinen Revolver auf den Tisch. Um seine Augen lagen tiefe Schatten.
»Ich heiße nicht Semjonow«, sagte er langsam. »Ich heiße Franz Heller und war ein Spion des amerikanischen Geheimdienstes CIA.«
Schweigen. Dämmerung. Der Qualm einer Zigarette. Der Geruch des starken Waldbeerweins. Die Öllampe blakte. Semjonow beugte sich vor und drehte den Docht niedriger.
»Soso«, sagte Dr. Pluchin gleichgültig. »Und weiter?«
»Weiter?« Semjonow legte die Hände auf den Revolver. »Ich verliebte mich in Ludmilla, zertrümmerte meine Vergangenheit und wurde seitdem gejagt wie ein weißer Wolf. Ich … ich bin ein Deutscher, Dr. Pluchin!«
»Ein Deutscher!« Die Stimme Pluchins war weich. »Ich dachte es mir, Söhnchen. Weißt du … unser Kindermädchen in Petersburg war eine Deutsche. Sophie hieß sie … ja, Sophie Eisemann. Aus Mecklenburg stammte sie. Von einem großen Gut. An ihrer Hand lernte ich laufen …«
Dr. Pluchin sah Semjonow plötzlich mit starren Augen an. Dann hob er die Faust und hieb auf den Tisch, daß die Öllampe tanzte.
»Verdammter Schlappschwanz!« schrie Pluchin und beugte sich zu Semjonow vor. »Sitzt da und jammert, und die Welt ist weit und groß, und man ist noch so jung und voller Kraft und Saft wie eine vierzigjährige Erle! Und oben liegt sein Weibchen im Bett und weint und ist doch glücklich, wie alle Weibchen glücklich sind, wenn neues Leben in ihnen wächst.«
Semjonow sprang auf. Die Jacke riß er sich auf, das Hemd. Er starrte den Arzt an. »Ludmilla …«, fragte er schwer atmend.
»Im dritten Monat bereits. Und sie hat Angst, statt an deinem Hals zu jubeln!« Dr. Pluchin griff nach dem Blechbecher. »Los, Söhnchen, stoß an!« brüllte er. »Auf das Kind!«
Mit zitternder Hand hob Semjonow seinen Becher zum Mund.
»Auf unser erstes Kind!« sagte er leise. Dann trank er, hob den Arm hoch empor, warf den Becher an die Wand. Zerbeult fiel er auf den Boden und rollte zum Herd.
Am nächsten Morgen ging die Sonne strahlend auf. Blau war der Himmel, die Wälder leuchteten saftig grün, sogar der knietiefe Schlamm auf den Straßen und Wegen bekam ein freundliches Aussehen wie Karamelpudding. Es war, als habe es nie einen Winter gegeben, nie Eisstürme, nie eine meterdicke Schneedecke, zugefrorene Flüsse, vom Frost auseinandergesprengte Bäume, vor Hunger und Elend heulende Wölfe.
Die Sonne war da. Die Frühlingssonne! Schon bald würden die ersten Blumenspitzen aus der Erde stoßen, Krokusse und weißblühende Moose. Die Lärchen würden grüne Nadelspitzen bekommen und an Haselbüschen sich braungrün schillernde Knospen zeigen. Die Natur atmete auf. Murmeltiere, Biber und Bären krochen aus ihren Winterhöhlen. Die Füchse jagten schon wieder, und bald würden die Wildgänse über die Taiga ziehen, die Wildschwäne und Großtrappen, Eisvögel und Steppenhühner, Schneekraniche und Fischreiher.
Die Schönheit Sibiriens entfaltete sich wie das bunte Rad eines Pfaus. Die klare Luft roch schon nach Blütenpollen. Ein Wunder war's wahrhaftig, wie über Nacht ein warmer Atem über das Land wehte.
Dr. Pluchin kochte schon am Herd eine Gerstensuppe, als Semjonow mit brummendem Schädel und wäßrigen Augen die Stiege herunterkam und einen schalen Dunst von Alkohol mitbrachte.
»Die Pumpe im Hof geht wieder, Söhnchen!« sagte Dr. Pluchin. »Halt den Kopf drunter und den Atem an. Eiskalt ist das Wasser, aber es treibt jeden Teufel aus den Poren! Und dann iß das Süppchen. Was macht Ludmilla, unser Täubchen?«
»Sie schläft noch.« Semjonow lehnte sich gegen die Tür und starrte Pluchin an. »Welch ein Satanszeug haben Sie da gebraut, Doktor! Ihr Wein lähmt das Gehirn.«
»Um so beweglicher ist die Zunge.«
»Ich habe dummes Zeug geredet, nicht wahr?«
»Du hast gut daran getan, alles zu sagen, Pawel Konstantinowitsch. Nach dem Frühstück packen wir, ich fahre euch zur Faktorei Turu, und von dort könnt ihr mit Transportkolonnen nach dem Norden ziehen. Einen Brief gebe ich euch mit, an eine Freundin. Katharina Kirstaskaja heißt sie. Sie ist Ärztin für den Distrikt Olenek. Dort werdet ihr bleiben können und eure Kinder großziehen.«
»Glauben Sie das
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