Liebesnächte in der Taiga
wirklich, Dr. Pluchin?«
»Oleneksskaja Kultbasa ist ein Ort, wo man sich wundert, daß nicht noch ein Mammut durch die Moosflechten stampft.« Dr. Pluchin schlug ein rohes Ei in die dampfende Gerstensuppe. »Und nun wasch dich, Söhnchen. Ausgeatmeter Alkohol ist mir ein Greuel.«
Um die Mittagszeit war es soweit. Ludmilla und Semjonow hatten in zwei große Säcke alles gepackt, was sie für die Reise brauchten. Dr. Pluchin winkte Semjonow. Sie gingen zusammen in den Schuppen, und hier räumte Pluchin einige Strohballen fort, öffnete die Klappe einer Falltür und holte aus einem Erdkeller zwei längliche, in Fettpapier und stinkende Felle verpackte Gegenstände. Während Semjonow die Falltür wieder schloß und das Stroh darüberschob, wickelte Pluchin die Pakete auf und legte zwei gutgeölte, glänzende Militärgewehre auf einen Holzbock.
»Ein wundervolles Gewehrchen«, sagte Pluchin und streichelte die Läufe der Waffen. »Zwei Tokarev M 1940. Sie schießen wie der Teufel. Ihr werdet sie brauchen können.«
Semjonow blickte auf die glänzenden, geölten Gewehre. Dann sah er Pluchin an und nahm eines der Gewehre in die Hand.
»Woher haben Sie die Waffen?«
»Gefunden«, antwortete Pluchin kurz.
»Natürlich.« Semjonow blickte zurück auf die Strohballen, die wieder die Falltür verdeckten. »Und was haben Sie noch in Ihrem Fundbüro, Doktor?«
»Ein 7,62 AK-Maschinengewehr, ein PPS-43 Maschinengewehr und vier Tokarevs wie diese hier.«
»Und warum heben Sie diese Waffen auf, Doktor?« Semjonow legte das Gewehr auf den Bock zurück. »Wer Sie ansieht, glaubt an einen Friedensengel, nicht an einen Waffenhorter.«
»Haben sie jetzt nicht einen Sinn, die Waffen, he?« versetzte Pluchin giftig. »Alles hat im Leben einmal einen Sinn, nichts ist umsonst! Ob man einen Nagel aufhebt oder ein Maschinengewehr – einmal kommt die Zeit, wo man alles brauchen kann.«
Semjonow ergriff die Gewehre und warf sie an den Lederriemen über die Schulter. Sogar die Bajonette waren an den Schaft gebunden. Die Klingen waren sauber, rostlos, mit einer dicken Fettschicht eingerieben.
»Wie sollen wir Ihnen danken, Boris Antonowitsch?« fragte Semjonow mit schwerer Zunge. »Um ehrlich zu sein … ich hatte damit gerechnet, hier am Ende meines Weges zu sein. Ich hatte keine Hoffnung mehr. Ich … ich wollte Ludmilla in Ihre Obhut geben und mich den Behörden stellen.«
»Solch ein Idiot!« Dr. Pluchin hob die Faust. »Das wäre dir recht gewesen, Söhnchen … ein Weibchen nehmen, ein Kind zeugen und mir dann beide an den Hals hängen! O nein!« Pluchin ging zur Tür des Schuppens und stieß sie auf. »Frühling ist, in zwei Wochen blüht sogar die Tundra, die ganze Welt erneuert sich, und dieser Idiot denkt, er sei am Ende! Hinaus, Pawel Konstantinowitsch, in einer Stunde fahren wir.«
Mit einem hochrädrigen Pferdewagen ratterten sie später zwanzig Kilometer durch Waldwege und Schneisen zum Turu, wo die Faktorei für die Gebiete am nördlichen Polarkreis lag. Hier herrschte schon Hochbetrieb. Fallensteller und Jäger lieferten ihre Winterbeute ab, tauschten gegen Felle Säcke voll Mehl, Salz, Hirse, Gerste und Grieß ein, schleppten Tonnen mit eingelegtem Kohl zu ihren Fuhrwerken und banden Säcke mit Büchsen und Kartons auf die Rücken ihrer Transportrentiere. Im Schankraum erscholl Gesang. Dort soffen die Unverheirateten den Frühling an. Rohe Kerle mit breiten gelben Gesichtern und hängenden Schnauzbärten. Jakuten und Ewenken, Dolganen und Nenzen, Völkerstämme aus der Urwelt, in zottigen Pelzen und dicken Pelzkappen, Fellstiefeln, wattierten Hosen und Jacken.
Dr. Pluchin verhandelte mit dem Leiter der Transportbrigade. Was er sagte, erfuhren Semjonow und Ludmilla nie. Vielleicht erfährt man es, wenn Dr. Pluchin einmal begraben ist und jemand sich die Mühe macht, seine Aufzeichnungen durchzulesen. Dann wird er finden: »Habe mit Borja, dem Saukerl, gesprochen. Habe ihm gesagt: ›Du bringst die beiden Freundchen sicher nach Oleneksskaja Kultbasa, oder ich weigere mich, weiter deine Syphilis zu behandeln, und melde dich dem Kommandanten!‹ So wurde alles geregelt. Habe Borja hinter der Garage gleich eine Spritze als Anzahlung gegeben.«
Ludmilla umarmte Dr. Pluchin und küßte ihn, bevor sie unter die Plane des Lastwagens kletterten, den Borja selbst fuhr.
»Sie glauben nicht an Gott, Dr. Pluchin?« fragte sie.
»Nein«, brummte Pluchin.
»Wessen Segen soll ich dann für Sie erbitten?«
»Keinen Segen,
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