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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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erfahren, und sie wird versuchen, diese Erzählungen mit ihm zusammen in »Archivarbeit« zu verwandeln.

    Als ihr dieser Gedanke kommt, richtet sie sich auf. Dass sie beide sich so schnell aufeinander zu bewegten – hat das am Ende mit ihrem gemeinsamen Schicksal zu tun? Er hat die Mutter verloren, sie den Vater, und beide Ereignisse haben sich in der Folge mit Georgs und Katharinas Lebensgeschichten verbunden. Was aber hat das zu bedeuten?

    Sie denkt noch eine Weile nach und nimmt sich vor, mit Katharina darüber am Nachmittag zu sprechen. Dann erkennt sie, dass sich eine Gruppe von drei Menschen auf das Gartenhaus zubewegt. Sie erkennt Johannes, der vorausgeht, zwei Küchenhilfen gehen hinter ihm her. Es sieht beinahe aus wie ein kleiner Entenmarsch, ja, es hat etwas Komisches. Sie muss grinsen, als sie sieht, wie stolz und etwas steif Johannes geht, und wie die Küchenhilfen sich bemühen, das Mittagessen zusammen mit Geschirr und Besteck ohne einen Ausrutscher ins Gartenhaus zu bringen. Sie erkennt ihren Korb, in dem sich anscheinend ihr japanisches Geschirr befindet, und sie erkennt, dass Johannes in jeder Hand eine Flasche Wein hält, auf deren Etiketten er auf seinem Weg dann und wann schaut, als wären ihm diese Weine fremd und als müsste er sich mit ihnen erst anfreunden.

    Sie bleibt noch etwas sitzen, sie wartet, bis die beiden Küchenhilfen das Gartenhaus wieder verlassen. Auf dem Rückweg zum Hotel blicken sie sich zweimal um und betrachten das Haus, anscheinend sind sie von dem, was sie gesehen haben, stark beeindruckt. Nach einer Weile öffnet Johannes einige Fenster des Hauses, dann tritt er vor die Tür, als wartete er nun ungeduldig auf ihr Erscheinen.

    Sie steht auf und will losgehen, als sie sieht, dass er wieder nach drinnen geht und kurz darauf mit einer Klarinette erscheint. Er steht nun in der Tür und scheint etwas zu spielen, sie kann aber wegen der großen Entfernung nicht hören, was es ist. Das Bild des fernen Musikanten überrascht sie, und es wirkt derart anziehend,
dass sie sich plötzlich sehr beeilt, den Weg zum Hotel zurückzulegen. Dort angekommen, sucht sie rasch eine Toilette auf und wäscht sich mit kaltem Wasser das leicht erhitzte Gesicht.

    Dann durchquert sie das Hotel und macht sich auf den Weg zum gemeinsamen Mittagessen. Als sie in die Nähe des Gartenhauses gerät, ist Johannes nicht mehr zu sehen. Die Fenster des kleinen Hauses aber stehen noch immer offen, und von drinnen hört man Musik. Es ist eine verführerische, ruhig singende Musik, ja, sie kennt diese Musik, aber welche ist es genau?

    Sie bleibt einen Moment stehen und summt mit, dann weiß sie Bescheid. Johannes sitzt drinnen, im Innern ihres gemeinsamen Hauses, und er hört den zweiten Satz von Mozarts Klarinettenkonzert.

34
    ER WARTET auf sie an dem großen Schreibtisch, den sie leer zurückgelassen hat. Zusammen mit den Küchenhilfen hat er den runden Esstisch gedeckt, er hat dazu ihr japanisches Geschirr und das schöne Silberbesteck benutzt, und er hat aus der Hotelküche noch einige Kristallgläser für Wein und Wasser ausgeliehen. In der Mitte des Tisches brennt eine kleine Kerze, eine Flasche Wein hat er bereits geöffnet, es ist ein kräftiger Grauburgunder
aus der Pfalz, zu dem er als Vorspeise nichts anderes als gekochte, dünne Selleriescheiben mit geriebenen Walnüssen und Walnussöl servieren wird.

    Nach seinem Gespräch mit Katharina ist er mit dem Lift hinab in das Tiefgeschoss des Hotels gefahren und hat sich dort auf die Suche nach dem Gourmetrestaurant gemacht. Er fand es zum Glück rasch, zwei Kellnerinnen waren gerade dabei, die Tische für das Abendessen einzudecken. Er erkundigte sich nach dem Chefkoch, und nach wenigen Minuten erschien zu seiner großen Erleichterung dann auch wahrhaftig ein freundlicher Mann etwa seines Alters, der ihn mit der Bemerkung überraschte, ein eifriger Leser seiner Bücher zu sein.

    Richtig, seine Bücher. Seit er in dieser Hotelanlage eingetroffen ist, hat er kaum noch an sie gedacht, es ist, als hätte das Leben hier diese Seite seiner Existenz allmählich zum Verschwinden gebracht. Man muss ihn beinahe daran erinnern, dass er Schriftsteller ist, er selbst dagegen ist mit ganz anderen Dingen als mit Schreiben beschäftigt, ja, im Grunde arbeitet er daran, die alte Schriftstellerei zu vergessen und eine neue zu erfinden. Eine neue? Aber welche? Die neue Schriftstellerei wird mit der geplanten Arbeit an seinem Archiv zu tun haben, so viel steht fest.

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