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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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zieht die Hauben mit gespielt gravitätischem Gestus ab und öffnet danach die Flasche Spätburgunder, nachdem er die halb geleerte Flasche Grauburgunder zur Seite gestellt hat. Er schenkt den Spätburgunder ein, sie trinken und essen, und er bemerkt, wie gut es ihr schmeckt. Als auch der dritte Satz des Klarinettenkonzertes zu Ende ist, legt er noch eine andere CD ein. Sie sitzen still und genießen das Essen, während eine Solo-Klarinette zu hören ist, die kleine, fremde und etwas skurrile
Stücke spielt, von denen er vermutet, dass sie diese Stücke im Gegensatz zu Mozarts Klarinettenkonzert nicht kennt.

    Was Du kennst und was ich kenne, was Du liebst und was ich liebe – diese schöne Annäherung haben sie noch vor sich. Es sollte aber auch in diesen Dingen nicht zu schnell gehen, sondern jeder Schritt genau und gründlich überlegt sein, damit es nicht bei bloßen Mitteilungen bleibt. Die Mitteilungen sollten sich auf wirkliche Erfahrungen beziehen, die sich eingeprägt haben und haften geblieben sind.

    Vor Jahren hat er einmal darüber genauer nachgedacht, ja, jetzt erinnert er sich. Er hat sich gefragt, was eigentlich sein geheimes Vorbild für eine solche »Sprache der Nähe« ist, und er ist darauf gekommen, dass es die Sprache seiner Eltern war, wie er sie abends, wenn er als Kind längst im Bett lag, noch aus einiger Ferne zu hören bekam. Seine Eltern unterhielten sich nämlich beinahe jeden Abend nach seinem Zubettgehen noch lange, er hat ihr Murmeln und ihr ruhiges Sprechen noch genau im Ohr. Diese Unterhaltung kam immer wieder zur Ruhe, und dann war nichts als ein tiefes Schweigen zu hören, aus dem sich schließlich wieder eine Stimme emporschwang und dann wie eine einsame Gesangsstimme erschien, die schließlich von einer anderen Gesangsstimme abgelöst und erwidert wurde. Ein Duett aus Worten mit langen Pausen, das hat er damals oft zu hören bekommen, ohne doch die Worte im Einzelnen zu verstehen.

    Die Rehrückenscheiben sind sehr zart und liegen in einer hauchdünnen, stark eingekochten Wacholdersauce. Wenn man das Fleisch auf der Zunge hat, schmeckt es nach Gras, Wald und Nebel, man glaubt fast, einen leichten Regen zu spüren. Guten Rehrücken zu essen, das ist, wie noch einmal zur Jagd zu gehen, sich anzupirschen, das schöne Tier äsen zu sehen, die Wunde zu schmecken. Dem gegenüber wirkt das Kohlrabimus wie eine harmlose Naivität oder ein sehr gutes Kinderessen, es duckt sich weg, es spielt mit dem blutigen Ernst, ja, es kommt wie aus einer heiteren Welt, in der es niemals eine Jagd oder irgendein Opfer gegeben hat. Der Spätburgunder passt zu alledem ganz genau, denn er verbindet die beiden so gegensätzlichen Speisen, indem sein Geschmack sich mal dem Reh, dann aber auch wieder dem Kohlrabimus zuwendet, hin und her pendelnd, ohne ein Ende.

    Jeder von ihnen trinkt drei Gläser, danach leert sie erneut ein großes Glas Mineralwasser, und zum Schluss serviert er noch die geschmorten Äpfel mit Preiselbeeren. Es zieht einen wieder zurück in den Garten, denkt er, es ist Herbst, die Äpfel fallen reif von den Bäumen, ich sehne mich nach frischem Apfelmost.

    Zum Schluss räumt er alles beiseite und ordnet das Geschirr zu einer kleinen Pyramide auf dem Schreibtisch. Die Klarinetten-Soli sind noch zu hören, und einen Augenblick ist er unschlüssig, was er als Nächstes tun soll. Nach draußen gehen? Einen Spaziergang machen? Er schaut sich um und bemerkt, dass sie ebenfalls aufgestanden ist und zum Schrank geht. Sie öffnet ihn und entnimmt
ihm zwei große Decken. Dann wirft sie eine von ihnen auf den Boden, direkt vor dem Eingang, und legt die andere Decke daneben.

    Er sieht, dass sie Bluse, Hose und Schuhe auszieht und sich ein einfaches T-Shirt überstreift. Auch ihm legt sie ein solches T-Shirt hin, so dass er sofort versteht, dass sie sich mit ihm auf den Boden legen will. Die enge Umarmung von eben fortsetzen, sich aneinanderschmiegen, in ein leichtes Träumen hinübergleiten, die Sonnenflut spüren – das hat sie wohl vor. Er ist ganz und gar einverstanden damit, es ist ein guter Einfall, das passt, denkt er, wir passen zusammen.

    Er zieht ebenfalls Hemd, Hose und Schuhe aus und zieht das T-Shirt an, dann legt er sich zu ihr auf die Decke. Sie liegt auf dem Rücken und hat die Augen geschlossen, er legt sich dicht neben sie und dreht sich dann auf die Seite, so dass er sie anschauen kann. Er legt sein linkes Bein leicht über ihre beiden flach nebeneinanderliegenden Beine und

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