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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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zu Rehrücken passen sollte. Er bedankte sich und fragte noch kurz:
    – Welchen besonderen Anlass meinen Sie denn?
    – In diesem Hotel wird so dieses und jenes gemunkelt, antwortete der Chefkoch.

    Er zuckte leicht mit den Achseln, als könnte er mit diesen Andeutungen nichts anfangen, dann machte er sich zusammen mit seinen Helfern auf den Weg zum Gartenhaus. Es war eine fast filmreife Szene. Mit einer Flasche Wein in jeder Hand ging er voraus, die beiden Helfer folgten langsam und vorsichtig in einigem Abstand, während ein starker Duft feinster Wohlgerüche hinter dem kleinen Tross herzog. So verließen sie das Hotel, bogen auf die kleinen Wegpfade ein und erreichten schließlich das Ziel.

    Später, als seine Gehilfen schon längst wieder verschwunden sind, hört er sich den zweiten Satz von Mozarts Klarinettenkonzert an. Es ist ein Stück, das er als Jugendlicher einmal selbst in einem Konzert zusammen mit einem Orchester gespielt hat. Sein damaliger Instrumentallehrer behauptete, diesen himmlischen Konzertsatz zu spielen sei wie feinste Rindsbouillon schlürfen, er hat diese Bemerkung nie vergessen, denn als Jugendlicher hat er sie nicht verstanden. Unverhofft ist er genau diesem Konzertsatz dann später in einigen Filmen begegnet, und noch überraschender war einmal die zufällige Begegnung mit einem französischen Schriftsteller in Paris, der einen ganzen Roman genau über dieses Klarinettenkonzert geschrieben hatte.

    Er erinnert sich an all das genau, jetzt aber verscheucht er diese Gedanken, denn er will nichts anderes als diese Musik hören, die in seinen Augen so etwas darstellt wie eine Empfangsmusik zur zweiten direkten Begegnung mit der Geliebten. Natürlich werden sie auch während dieser Begegnung nicht miteinander reden, denn ihre Liebe unterliegt
bis zur Abreise ja dem Schweigen. Nicht Worte sollen – so die geheime Verabredung – ihre Verbindung herbeiführen, vielmehr soll alles sich wie von selbst ereignen, durch eine nur ihnen beiden eigene Zeichensprache, die ihre längst bestehende, tiefe Vertrautheit beweist. So haben sie beide ihre Annäherung von Anfang an verstanden, und an diese Regeln haben sie sich bis jetzt ohne einen einzigen Fehlgriff gehalten.

    Er steht auf, als sie in der Türe erscheint. Sie schaut ihn an und lächelt, dann geht sie zu ihm und küsst ihn wieder auf beide Wangen. Zum ersten Mal sind diese Küsse nicht flüchtig, sie lehnt sich danach dicht an ihn, und sie bleiben eine Weile still in einer engen Umarmung stehen. Er atmet nicht mehr, er ist so gespannt, dass er unwillkürlich die Luft anhält, keine Nuance dieser intensiven Berührung soll ihm entgehen. Er empfindet sie aber überhaupt nicht als neu oder ungewohnt, nein, ganz im Gegenteil, er hat das Gefühl, eine Frau zu berühren, die ihm vertrauter ist als jeder andere lebende Mensch.

    Erst als der zweite Satz des Konzertes zu Ende ist und plötzlich der muntere und laute dritte Satz beginnt, lösen sie sich voneinander und gehen dann hinüber zum Esstisch, sie nehmen Platz. Sie trinkt zunächst ein Glas Mineralwasser, und als sie es ganz geleert hat, stoßen sie mit ihren Weingläsern an und trinken gemeinsam den Grauburgunder. Der Sellerie schmeckt erdig und herbstlich, und die Zwiebeln haben eine leicht scharfe Bitterkeit, die von den geriebenen Walnüssen aufgefangen und zerstreut wird.

    Ihm fällt ein, dass er sich ein stummes Essen zu zweit schon oft gewünscht hat. Es machte ihm nie etwas aus, allein zu essen, im Gegenteil, er hat das Alleinessen immer besonders genossen, weil er die langatmigen und vom Essen ablenkenden Unterhaltungen mit Fremden oft nicht ertrug. Manchmal hat er sich aber auch gewünscht, zu zweit und schweigsam zu essen, das, hat er gedacht, wäre wohl ein besonderer, intensiver Genuss, kein Palavern über die Speisen und erst recht kein Palavern über die Zeitumstände, sondern ein wortloses, respektvolles Schmecken und Probieren, das der Kochkunst und den mit viel Überlegung und Raffinement zubereiteten Gerichten angemessen wäre. Erst einmal die Kunst und die Dinge selbst sprechen lassen – das ist eine seiner Maximen, ja, davon geht er nicht ab.

    Als sie die kleine Vorspeise gegessen haben, räumt er die Teller ab und stellt sie auf den Schreibtisch. Dann holt er die etwas größeren Teller, auf denen sich neben dem Rehrücken auch das Kohlrabimus befindet, sie sind mit winzigen, silbernen Hauben zum Warmhalten der Speisen bedeckt. Er stellt die Teller auf den Esstisch,

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