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Liebesnaehe

Liebesnaehe

Titel: Liebesnaehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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verstehen, warum er hier sitzt, ja, sie glaubt anscheinend, dass er sie beobachtet, aus welchen Gründen auch immer. Er fühlt sich ertappt, warum war er auch so ungeschickt, sich gerade in ihre Blickrichtung zu setzen, warum ist er nicht vorsichtiger und behutsamer gewesen, er muss ihr ja vorkommen wie ein Voyeur, der es auf sie abgesehen hat.

    Er macht eine hilflose, zerfahrene Geste mit der rechten Hand und greift nach der Speisekarte, er steht auf und bringt sie dem Barkeeper zurück, er sagt ihm leise, dass er noch nicht essen wolle, dann aber verlässt er die Bar, als habe auch er vor, kurz die Toilette aufzusuchen.

    Draußen, im Flur, bleibt er stehen. Er schwitzt ein wenig, ihr unentwegtes Schauen hat ihn in eine leichte Panik versetzt. Hätte er nicht einfach aufstehen und zu ihr gehen sollen? Er hätte ihr erklären können, dass er Katharina gut kennt, so wie sie selbst anscheinend auch. Die peinliche Situation hätte sich auflösen lassen, ja, die Peinlichkeit wäre nach ein paar Sätzen verflogen. Dann aber wäre alles banal geworden, der intensive Moment des Blickkontakts hätte sich in trivialen Wortwechseln aufgelöst, und sie hätten zu dritt schließlich über eine Münchener Buchhandlung geplaudert, bis hin zu dem faden Moment, in dem diese Themen sich erschöpft hätten und andere Trivialitäten das Gespräch hätten in Gang halten müssen.
    Er räuspert sich, er braucht sich nichts vorzuwerfen, nein, er hat alles richtig gemacht, es ist besser, einen peinlichen Moment zu ertragen als die gespannte Neugierde gleich wieder zu ersticken. Er geht langsam den Flur entlang und macht eine kleine Runde, er sucht tatsächlich eine Toilette auf und wäscht sich kurz mit kaltem Wasser das erhitzte Gesicht. Dann geht er zurück in die Hotelbar und setzt sich wieder auf seinen Platz.

    Als er auf den kleinen Tisch neben sich schaut, erkennt er dort ein hellblaues Blatt Papier mit einer handgeschriebenen Notiz:
    Warum ich so gerne schwimme

    Weil ich beim Schwimmen wachse
Weil ich beim Schwimmen das Meer austrinke
Weil ich beim Schwimmen verschwinde
Weil ich beim Schwimmen mit offenen Augen dem großen
Blau näherkomme
    Er liest den Text zweimal, dreimal, sehr langsam. Dann steht er auf und nennt dem Barkeeper seine Zimmernummer, damit er die beiden Getränke auf diese Nummer anschreibt. Er schaut noch einmal sehr kurz nach draußen und erkennt, dass für die beiden Frauen gerade Feldsalat mit Steinpilzen serviert wird.
    Er nickt und verlässt die Bar, um hinauf auf sein Zimmer zu gehen.

9
    ER NIMMT den Weg durch das Foyer, doch als er sieht, dass Lea noch immer an der Rezeption im Einsatz ist, geht er direkt auf sie zu. Er fragt sie, ob sie ihn für einen Moment nach draußen, ins Freie, begleiten könne, und er ist erleichtert, dass sie weder erstaunt ist noch nachfragt, warum sie das tun soll, sondern einfach hinter ihrem leicht geschwungenen Tisch hervorkommt und ohne ein weiteres Wort mit ihm nach draußen geht.
    Er erzählt ihr, dass er bereits kurz nach seiner Ankunft
eine junge Frau im Pool des Hotels habe schwimmen sehen, ausgiebig und konzentriert und dabei doch locker und vollkommen entspannt. Dann fragt er Lea, ob sie eine Ahnung habe, wer das gewesen sein könne.
    Ja, aber sicher, Lea hat nicht nur eine Ahnung, sondern weiß ganz genau, dass es sich bei der Schwimmerin um Jule Danner gehandelt haben muss. Jule Danner ist, wie Lea weiter weiß, ebenfalls an diesem Vormittag hier im Hotel eingetroffen und ohne Zögern schwimmen gegangen, Jule geht nach jeder Ankunft in diesem Hotel sofort schwimmen, sie schwimmt auch tagsüber mehrmals in den verschiedenen Pools des Hotels, fast alle Angestellten wissen, dass sie auf Schwimmen geradezu versessen ist.

    Er fragt, ob sie eine Sportlerin sei, aber Lea verneint das. Nein, sie sei keine Sportlerin, das nicht, niemand wisse aber im Grunde genau, welchen Beruf sie ausübe, sie habe nie darüber gesprochen und natürlich stehe es den Angestellten nicht zu, sie danach zu fragen. Er will von Lea weiter wissen, ob sie denn eine Vermutung habe, da antwortet sie, sie vermute, Jule sei eine Journalistin oder Fotografin. Jedenfalls habe sie Jule Danner schon mehrmals mit einem Aufnahmegerät, einer Kamera oder einem Fotoapparat im Freien gesehen, und das lasse sie eben vermuten, dass Jule an Artikeln oder Reportagen arbeite, vielleicht sogar an Artikeln über dieses Hotel.

    Es beruhigt ihn sehr, mit Lea über die Schwimmerin zu sprechen, er hat dabei das

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